Dass der Ausbruch von Corona im vergangenen Jahr für die Kreuzfahrtbranche die Gefahr eines Genickbruchs beinhaltete, liegt auf der Hand. Viele Menschen auf engem Raum, weltweit unterwegs, mit den Schutzmaßnahmen einer Pandemie ist das nicht vereinbar. Entsprechend dramatisch brach das Geschäft im Jahr 2020 ein. Erholt sich die Branche von der Krise, seit die Impfquoten weltweit steigen? Und welche Rolle spielt dabei der Klimaschutz?
Mitte Juni verließ das Expeditionsschiff „Hanseatic nature“ von Hapag-Lloyd Cruises erstmals wieder den Hamburger Hafen. Aufgrund der kleinen Schiffsgröße hatte der Kreuzer von den norwegischen Behörden eine Sondergenehmigung erhalten, wie das Unternehmen mitteilt. Maximal 200 Personen dürften an Bord, hieß es.
Vertrauen der Passagiere stärken und leeren Kassen wieder füllen
In Zeiten vor Corona erzielte das Schiff im Schnitt 640 Euro pro Mitreisendem – pro Tag. Damit das Geld wieder fließt, hat Hapag-Lloyd eine lange Liste von Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt. Ein Präventions- und Hygienekonzept setzt bei allen Reisen ein negatives Covid-19-Testergebnis für die Mitreise voraus. Für Crewmitglieder sind Tests und Quarantäne vor dem Einsatzbeginn Pflicht. Und: „Jede Reise wird durch qualifiziertes medizinisches Personal begleitet“, so Hapag-Lloyd.
Aufwand, der das Vertrauen der Passagiere in die Branche stärken und die leeren Kassen wieder füllen soll. Vor der Pandemie gingen allein in Deutschland 3,7 Millionen Menschen im Jahr auf Kreuzfahrt. Weltweit sollen es 2019 rund 30 Millionen gewesen sein. Mehr als 500 Kreuzfahrtschiffe sind dafür unterwegs. Für 2020 hatte man mit 32 Millionen Passagieren gerechnet.
Hierzulande bringen die Hochsee- und Flusskreuzfahrten einen Umsatz von rund 3,9 Milliarden Euro im Jahr. Doch für 2020 musste die deutsche Reisewirtschaft bekanntlich eine negative Bilanz ziehen. Einen „noch nie dagewesenen Umsatzrückgang“ meldete der Deutsche Reiseverband für das Touristikjahr 2019/20. Der Umsatz für Reiseveranstalterreisen sank um 67 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Chancen für einen echten Neuanfang für die Kreuzfahrtbranche sind sehr gut
In den Sommermonaten gingen die Umsätze sogar um 81 Prozent zurück. Wochenlang fanden keine Reisen statt, Neubuchungen gab es fast keine. Das spürten auch die deutschen Werften. Die europäischen machen 80 Prozent ihrer Umsätze mit den Luxuslinern. Jeder zweite Auftrag ging dabei bislang an eine deutsche Werft. Im Krisenjahr mussten die aber für acht von zehn ihrer Mitarbeitenden Kurzarbeit anmelden.
Insgesamt also keine gute Bilanz für eine Branche, die vor der weltweiten Pandemie stetiges Wachstum spürte. Aber haben die Kreuzfahrtgesellschaften die teuren Liegezeiten ihrer Schiffe genutzt, um sich neu auszurichten? Denn die Kundschaft ist nicht verschwunden. Die meisten Anbieter melden rasant gestiegene Buchungen, auch schon für die kommenden Jahre. In der Hauptreisgruppe der 60- bis 69-Jährigen sitzt das Geld dafür offenbar locker.
„Die Chancen für einen echten Neuanfang für die Kreuzfahrtbranche sind aufgrund der Maßnahmen, die ergriffen wurden, sehr gut“, meint Helge Grammerstorf, National Director des deutschen Ablegers der Cruise Lines International Association (CLIA). Die Branche habe die Zeit genutzt, um sich auf Corona einzustellen, aber auch Maßnahmen für Nachhaltigkeit verstärkt.
Kreuzfahrtbranche weit entfernt von Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens
Ein wichtiges Thema, das der Naturschutzbund Deutschland (NABU) seit Jahren anspricht: „Viel zu lange schon genießt die Schifffahrt Ausnahmen, wenn es um effektive Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung geht.“ Aber nicht nur das: Große Kreuzfahrtschiffe seien wie schwimmende Kleinstädte und verbrauchten entsprechend viel Energie. Ihre schmutzigen Abgase wie Feinstaub, Ruß, Stickoxide und Schwefeloxide gefährdeten Gesundheit, Klima und Biodiversität, argumentieren die Naturschützer und richten damit seit langem den Blick auf die vermutlich wahre Krise der Kreuzfahrtbranche.
In einem jährlichen „Kreuzfahrtranking“ erneuert der NABU regelmäßig seine Kritik, befragt dazu die größten Anbieter auf dem europäischen Markt zu ihren Klimaschutzmaßnahmen. Auch 2020 heißt es vernichtend: „Das Gros der Kreuzfahrtbranche ist weit davon entfernt, die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen.“ Das Abkommen soll die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränken.
Aber was fordert der NABU? Dessen „Vision für eine emissionsfreie Kreuzschifffahrt im Jahr 2050“ sieht einen dreistufigen Fahrplan vor. So soll in drei Jahren der Abschied vom giftigen Schweröl in den Motoren der Schiffsriesen, die Entwicklung einer individuellen Klimastrategie und die Nutzung von grünem Landstrom umgesetzt werden. Wie wichtig das ist, zeigte auch die Pandemie. Viele im Hafen liegende Schiffe ließen die Motoren laufen, um notwendigen Strom zu produzieren, verpesteten die Luft. Vielerorts fehlt noch die Infrastruktur für Alternativen.
Das Stichwort der Zeit ist „Green Cruising“, umweltschonendere Kreuzfahrten. Gemeint sind damit vor allem umweltfreundlichere und nachhaltigere Antriebssysteme zur Reduktion von Treibstoffemissionen, auch durch Landstrom. Aber auch der nachhaltige Umgang mit Ressourcen an Bord fällt unter Green Cruising, zum Beispiel Müllvermeidung, ökologische Wasseraufbereitung, effiziente Recyclinganlagen, saubere Reinigungstechnik und Vermeidung von Lebensmittelresten.
Der Branche läuft die Zeit davon, um vollständig emissionsfrei unterwegs zu sein
Bis zum Jahr 2030, fordert der NABU weiter, müsse das erste emissionsfreie Schiff in Betrieb gehen und ein Null-Emissionsstandard für sämtliche Neubauten greifen. Auch die Nachrüstung der Bestandsflotte mit entsprechenden Technologien müsse vorangetrieben werden. „Damit blieben noch zwanzig Jahre, um bis zur Mitte des Jahrhunderts vollständig emissionsfrei unterwegs sein zu können“, so die Naturschützer.
Im letzten Ranking von 2020 zieht der NABU aber erneut eine nüchterne Bilanz: „Der Branche läuft die Zeit davon, um 2050 vollständig emissionsfrei unterwegs zu sein.“ Klimaschutz in der Kreuzschifffahrt scheine derzeit vor allem ein Lippenbekenntnis zu sein. Neun von fünfzehn Anbietern würden sich zwar auf Nachfrage zu den Pariser Klimazielen bekennen, hätten aber keine nachvollziehbare Strategie, wie die Ziele erreicht werden können. „Die bislang erfolgsverwöhnte Branche sollte die Zwangspause nutzen, um sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Vorzeichen die Kreuzfahrt eine Zukunft haben kann“, so die Mahnung.
Wie reagiert die CLIA? „Die Kreuzfahrtindustrie unterstützt das Ziel der CO2-Neutralität, in Europa wird Deutschland eine entscheidende Rolle spielen, ist dabei aber auf die Mitwirkung aller Beteiligten angewiesen“, sagt Direktor Helge Grammerstorf. Der Kreuzfahrtsektor könne mit einer Wertschöpfung von 6,6 Milliarden Euro und einem Potenzial von rund 50000 Arbeitsplätzen einen Beitrag zu grünem Wachstum leisten. „Trotz der Aussetzung des Kreuzfahrtbetriebs während der Pandemie ist unser Engagement für Nachhaltigkeit konstant geblieben“, so Grammerstorf.
Kreuzfahrtverband setzt auf alternative Treibstoffe wie zum Beispiel Flüssiggas
Der Verband will auf Innovationen, Emissionsreduktion und größere Energieeffizienz setzen. CLIA Europe-Generaldirektor Ukko Metsola spricht ein weiteres Thema an: „Die Einführung von CO2-Preisen wird jedoch nicht allein die zugrunde liegende Kernherausforderung lösen, nämlich den Mangel an alternativen Schiffskraftstoffen.“ Man müsse die Entwicklung alternativer Kraftstoffe beschleunigen und sie in den europäischen Häfen verfügbar machen.
Was sind die Alternativen zum Russ produzierenden Diesel? Eigentlich die gleichen wie bei Autos. So gibt es inzwischen Schiffe, die einen Hybridantrieb haben. In sensiblen Regionen wie der Arktis fahren sie mit Strom aus der Batterie, sonst mit üblichem Diesel. Die „MS Roald Amundsen“ soll mit Hybridantrieb ihre Kohlendioxid-Emissionen um gut zwanzig Prozent reduziert haben. Rein batteriebetriebene Schiffe gibt es aber bisher nur kleinere. Jedoch soll die „Aida Perla“ künftig mit Lithium-Ionen-Batterien fahren.
Beliebt ist auch der Betrieb mit Flüssiggas. Kaum Stickoxide, kein Schwefel, fast kein Feinstaub sprechen für diese Variante. Und einen „Blauen Engel“ des Umweltbundesamtes hat die „Aida Nova“ bekommen. Sie wird als erstes Kreuzfahrtschiff mit Brennstoffzellen angetrieben. Aber auch wenn dies alles interessante Ansätze sind, löst nicht jeder das CO2-Problem. „Die Kreuzfahrtbranche muss deshalb dringend neue Antriebsysteme und Kraftstoffe entwickeln, die nicht nur den Luftschadstoff-, sondern auch CO2-Ausstoß deutlich reduzieren“, fordert der NABU und kritisiert, dass auch das beliebte Flüssiggas weiterhin ein fossiler Brennstoff sei.
Die Kreuzfahrtbranche hat durch Corona starke Umsatzeinbußen erlebt. Aber die Betreiber der Urlaubsriesen haben eine treue Kundschaft. Sie können also mit guten Corona-Schutzmaßnahmen nach der Krise zurück kommen. Die Vielzahl der Buchungen für die nächsten Jahre belegen den Trend.
Ob die Schiffsgesellschaften die Zeit genutzt haben, der eigentlichen Krise aus dem Weg zu gehen, wird sich in den nächsten Jahren steigen. Der stetige Klimawandels setzt die Politik zunehmen unter Druck, überall Kohlendioxid einzusparen. Das wird auch die großen Schiffsriesen auf den Weltmeeren treffen.
Der Anbieter MSC Cruises hat mittlerweile angekündigt, seine Kreuzfahrtflotte komplett klimaneutral zu betreiben. Dafür setzt man dort zunächst auf CO2-Kompensation, bevorzugt mit „Blue Carbon Credits“, also mit CO2-Einsparungen über küstennahe und auf die Ozeane bezogene Projekte. Man werde mit „führenden Anbietern von CO2-Zertifikaten zusammenarbeiten, die CO2-Emissionen mit höchster Integrität ausgleichen“, hieß es.
Experten fordern aber, dass Kompensation kein Freikaufen von Verantwortung sein dürfe, sondern begleitet werden müsse von Anstrengungen, den Kohlendioxid-Ausstoß der eigenen Produkte möglichst rasch zu reduzieren. Deshalb verspricht MSC, Umwelttechnologien voranzutreiben, die langfristig den wirklich emissionsfreien und klimaneutralen Schiffsbetrieb für die Kreuzfahrtflotte ermöglichen, etwa die Erprobung von Brennstoffzellen. Für das selbst gesteckte Ziel einer Reduktion von 40 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2008 sei man auf dem besten Weg.
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