Die Wiederherstellung natürlicher Wälder könnte rund 226 Gigatonnen Kohlenstoff (CO2) zusätzlich binden – allerdings nur dann, wenn die Menschheit auch ihre Emissionen von Treibhausgasen wie CO2 stark reduziert. Zudem braucht es gemeinsame Anstrengungen zum Erhalt und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt.
Das ist das Ergebnis einer neuen Studie über das Kohlenstoffspeicherpotenzial von Wäldern. Sie unterstreicht die entscheidende Bedeutung der Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern für das Erreichen der internationalen Klima- und Biodiversitätsziele. Die Forschenden hinter der Studie betonen, dass dieses Potenzial durch Anreize für gemeinschaftliche Anstrengungen zur Förderung der Biodiversität erreicht werden kann. Beteiligt waren Hunderte von Wissenschaftlern aus aller Welt.
Das CO2-Speicherpotenzial von Wäldern ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Eine ähnliche Studie, die vor vier Jahren in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, ergab, dass durch Wiederaufforstung über 200 Gigatonnen CO2 gebunden werden könnten – was etwa 30 Prozent des vom Menschen in die Atmosphäre freigesetzten Kohlenstoffs entspricht.
Damit entbrannte nicht nur eine wissenschaftliche Debatte über die Rolle der Natur im Kampf gegen den Klimawandel. Während weitere Studien die Ergebnisse bestätigten, warnten andere davor, dass das Speicherpotenzial um das Vier- bis Fünffache überschätzt worden sein könnte. Die Studie weckte zudem Bedenken bezüglich der negativen Auswirkungen von Massenaufforstungen, Kohlenstoffkompensationsprogrammen und Greenwashing.
Um dieses kontroverse Thema anzugehen, hat sich ein internationales Team von hunderten Forschenden unter der Leitung des Crowther Lab der ETH Zürich zusammengeschlossen und das Speicherpotenzial von Wäldern neu bewertet. Dazu verwendete das Team eine breite Palette von Ansätzen, einschließlich umfangreicher bodengestützter Datenaufnahmen und Satellitendaten.
Wege zu vollem CO2-Speicherpotenzial der Wälder
Aufgrund der fortschreitenden Entwaldung liegt das Kohlenstoff-Speichervermögen der Wälder weltweit um etwa 328 Gigatonnen unter seinem natürlichen Potenzial. Einen Großteil der gerodeten Flächen nutzt der Mensch mittlerweile für Siedlungen und die Landwirtschaft.
Außerhalb dieser Gebiete, in nur dünn besiedelten Regionen, könnte die Renaturierung von Wäldern den Forschenden zufolge noch rund 226 Gigatonnen Kohlenstoff binden. Etwa 61 Prozent dieses Potenzials können erreicht werden, indem bestehende Wälder geschützt werden und sich bis zur natürlichen Reife erholen können. Die restlichen 39 Prozent können durch die Wiedervernetzung fragmentierter Waldlandschaften, durch nachhaltiges Management und Wiederherstellung von Ökosystemen erreicht werden.
„Die meisten Wälder der Erde sind stark geschädigt, die meisten Menschen waren noch nie in einem der wenigen Primärwälder, die es noch gibt“, erklärt Lidong Mo, einer der Hauptautoren der Studie: „Um die Biodiversität weltweit wiederherzustellen, muss vor allem die Entwaldung gestoppt werden.“
Die neuen Daten zeigen weiter, dass ungefähr die Hälfte des globalen Speicherpotenzials von Wäldern von der Biodiversität abhängt. Daher betonen die Forschenden, dass Wiederherstellungsmaßnahmen auf die natürliche Artenvielfalt abstützen müssen, um das volle Speichervermögen zu erreichen. Zudem ließe sich dieses durch nachhaltige Land- und Forstwirtschaft sowie Wiederherstellungsmaßnahmen zur Förderung von Biodiversität maximieren.
Das volle CO2-Speicherpotenzial als positiver Nebeneffekt
Die Autorinnen und Autoren der Studie betonen, dass verantwortungsvolle Wiederherstellung von Ökosystemen eine grundlegend gesellschaftliche Aufgabe ist. Sie beinhalte zahlreiche Maßnahmen wie das Ausscheiden von Schutzgebieten, die natürliche Regenerierung, Renaturierung, Forstwirtschaft, Agroforstwirtschaft und alle anderen von der Gemeinschaft getragenen Bemühungen zur Förderung der Biodiversität. Nötig sei dazu eine gerechte Entwicklung, die durch Richtlinien vorangetrieben wird, die die Rechte lokaler Gemeinschaften und indigener Völker priorisieren.
„Wir müssen bei vielen Menschen ein neues Verständnis von Wiederherstellung verankern“, sagt Thomas Crowther, leitender Autor der Studie und Professor an der ETH Zürich: „Wiederherstellung bedeutet nicht, massenhaft Bäume zu pflanzen, um Kohlenstoffemissionen auszugleichen, Wiederherstellung bedeutet, den Wohlstand zu Millionen von lokalen Gemeinschaften, indigenen Völkern und Bauern umzulenken, die weltweit die biologische Vielfalt fördern.“ Nur wenn eine gesunde Artenvielfalt zur bevorzugten Wahl für lokale Gemeinschaften werde, erreichten wir langfristig als positiven Nebeneffekt das volle CO2-Speicherpotenzial.
Das Wissenschaftsteam kommt weiter zum Schluss, dass umweltgerechte Wiederherstellung nicht andere Ökosysteme, die von Natur aus waldfrei sind, wie Tundren oder Grasländer, umfassen darf. „Bei der globalen Wiederherstellung von Natur geht es nicht nur um Bäume“, sagt Constantin Zohner von der ETH Zürich: „Wir müssen die natürliche Biodiversität aller Ökosysteme, die für das Leben auf der Erde wichtig sind, schützen, dazu zählen auch Wiesen, Moore oder Feuchtgebiete.“
Die Natur als Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel
Die Studie beleuchtet die entscheidende Bedeutung natürlicher, vielfältiger Wälder, die bis zu 30 Prozent des vom Menschen verursachten Kohlenstoffs binden könnten. Wiederherstellungsmaßnahmen ersetzen jedoch keine der Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen aus fossilen Brennstoffen. Wenn der Treibhausgasausstoß weiter steige, so warnt die Studie, würden Wälder durch anhaltende Dürren, Waldbrände und die Erderwärmung bedroht. Dies würde auch ihr Kohlenstoff-Speichervermögen massiv schmälern.
„Meine größte Befürchtung ist, dass Unternehmen die Erkenntnisse unserer Studie missbrauchen, um ihre Treibhausgasemissionen nicht senken zu müssen“, betont Crowther: „Aber je mehr Treibhausgase wir ausstoßen, desto grösser ist die Gefahr für Mensch und Natur.“ Wir könnten allerdings nicht wählen, ob wir Emissionen senken oder die Natur schützen wollen – beides sei dringend nötig. „Wir brauchen die Natur für das Klima und wir brauchen Klimaschutz für die Natur“, sagt er.
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