Ein Forschungsteam von Universität Leipzig, Deutschem Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und Goethe-Universität Frankfurt hat jetzt rund 13.500 literarische Werke von rund 2.900 Autorinnen und Autoren untersucht. Eines der Ergebnisse: Autorinnen verwenden beispielsweise mehr Artnamen aus der Natur in ihren Texten.
Viele Romane oder Gedichte beinhalten Beschreibungen von Pflanzen oder Tieren – mal mehr, mal weniger detailreich. Wie intensiv Flora und Fauna in einem literarischen Werk thematisiert werden, hängt auch damit zusammen, wer es unter welchen Lebensumständen verfasst hat. So verwenden Autorinnen beispielsweise mehr Artnamen in ihren Texten.
Dass biologische Vielfalt der Natur in der westlich geprägten Literatur seit den 1830er Jahren kontinuierlich abnimmt, hatte das Forschungsteam bereits vor rund zwei Jahren in einer Studie nachgewiesen. Jetzt veröffentlichten sie eine Folgestudie. Darin legen sie dar, inwieweit Faktoren wie Geschlecht, Wohnort oder Alter des Autors oder der Autorin Einfluss darauf nehmen, welcher Stellenwert in ihren Werken der Natur zukommt. Ihren Ergebnissen zufolge macht es einen Unterschied, ob ein literarisches Werk beispielsweise von einer jungen Frau aus einem US-amerikanischen Dorf oder von einem mittelalten Mann aus einer europäischen Großstadt geschrieben wurde.
Methoden aus Natur- und Geisteswissenschaften mittels digitaler Technik kombinieren
Die Studie ist ein Beispiel dafür, wie Methoden aus den Natur- und den Geisteswissenschaften mittels digitaler Techniken miteinander kombiniert werden können. Die Beteiligten stammen aus den Digital Humanities, der Biologie und der Literaturwissenschaft.
Für die Analyse nutzten die Forschenden erneut den Literaturbestand des Project Gutenberg. Die darin enthaltenen Werke – vorrangig der westlichen Literatur aus Europa und Nordamerika – verknüpften sie mit biografischen Informationen über die Schreibenden, die sie aus Online-Quellen wie Wikidata, LibraryThing.de oder WorldCat.org bezogen und manuell nachbereiteten. Letztlich konnten so 13.493 Werke aus den Jahren 1705 bis 1969 von 2847 Autorinnen und Autoren mit Methoden des sogenannten Maschinellen Lernens analysiert werden.
In der Studie von 2021 hatte das Team schon Kennzahlen entwickelt, die die Biodiversität in literarischen Werken messbar machen: Sie ermittelten beispielsweise für jedes Werk die Anzahl der Begriffe, die Tiere oder Pflanzen benennen, oder errechneten die Vielfalt des Wortschatzes, mit dem Lebewesen beschrieben werden. Jetzt setzten sie diese Werte mithilfe eines Algorithmus mit den biografischen Informationen über die Schaffenden in Beziehung.
Mehr biologische Vielfalt in Werken von Literaten aus kleinen Orten
Sie stellten fest, dass von Frauen verfasste Werke über alle untersuchten Epochen hinweg durchschnittlich mehr Biodiversität enthalten als die von Männern. Auch Herkunft und Wohnort spielen eine Rolle: So fanden die Forschenden in den Werken nordamerikanischer Autorinnen und Autoren mehr Naturdarstellungen als in Werken aus Europa. Zudem bildeten schreibende Menschen aus kleineren Orten in ihren Werken durchschnittlich mehr biologische Vielfalt ab, als solche aus größeren Städten.
Beim Alter zeigte sich ein gemischtes Bild: Junge Literaturschaffende unter 25 Jahren und ältere über 70 Jahren schrieben im Durchschnitt häufiger über Pflanzen und Tiere als solche mittleren Alters.
Ob die schreibende Person Kinder hatte, nahm hingegen laut der Erhebung keinen Einfluss auf die Darstellung von Biodiversität in ihren Werken. Neben diesen fünf Kernvariablen bezogen die Forschenden zahlreiche weitere Aspekte in die Analyse mit ein, wie beispielsweise den Bildungsstand, das literarische Genre oder die Intention der Werke. „Die Ergebnisse sind rechnerisch hochsignifikant“, erklärt Lars Langer vom Institut für Informatik der Universität Leipzig: „Es ist aber wichtig zu betonen, dass es sich um statistische Aussagen handelt, das heißt, dass beim Einzelnen die Lage völlig anders oder gar gegenteilig sein kann.“
Schlussfolgerungen für biodiversitätssensible Erziehung möglich
Zu der Frage, wieso die Lebensumstände der Schreibenden sich auf die Darstellung von Biodiversität in ihren Werken auswirken, liefert die Studie keine direkten Antworten. Langer hat dazu jedoch eine Vermutung: „Nahezu alle Zusammenhänge, die wir finden können, gehen indirekt auf eine geeignete Bildung und Erziehung der Gesellschaft zurück. Hohe Standards in der Allgemeinbildung tragen zur Wertschätzung der Natur bei.“ Aus den Ergebnissen könne man deshalb auch Schlüsse für eine biodiversitätssensible Bildung und Erziehung einzelner Zielgruppen innerhalb der Gesellschaft ziehen.
Foto Colourbox