Die Luft in Europa ist in den letzten Jahrzehnten im Vergleich zur vorindustriellen Zeit deutlich trockener geworden. Grund für die Trockenheit ist der vom Menschen verursachten Klimawandel. Eine trockenere Atmosphäre kann wiederum Dürreperioden und die Gefahr von Waldbränden verschärfen, was wiederum Folgen für Wälder und Landwirtschaft hat – so das Ergebnis einer neuen Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von Kerstin Treydte von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.
Mit einem neuartigen Ansatz haben die Forschenden das Dampfdruckdefizit – Vapor Pressure Deficit (VPD) – als Maß für die Lufttrockenheit seit dem Jahr 1600 rekonstruiert. Sie untersuchten dazu das Isotopenverhältniss von schwerem und leichtem Sauerstoff (18O/16O) in Baumringen aus einem europäischen Netzwerk von Waldstandorten.
Die Analysen zeigen, dass die Luft über weiten Teilen Europas seit Beginn des 21. Jahrhunderts trockener geworden ist als je zuvor – und dieser Trend hält an. „Angesichts der Dürreereignisse in vielen Regionen Europas in den letzten Jahren ist dieser Befund wirklich besorgniserregend“, sagt Kerstin Treydte.
Das Dampfdruckdefizit beschreibt den „Durst der Atmosphäre“, also die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem maximal möglichen Wassergehalt der Luft. „Durstige“ Luft mit hohem Dampfdruckdefizit entzieht Böden und Pflanzen mehr Wasser, verringert das Wachstum der Vegetation und bedroht die Gesundheit der Wälder.
„Austrocknende Vegetation und Böden begünstigen die Häufigkeit von Waldbränden, wie wir sie kürzlich in Brandenburg erlebt haben“, sagt Gerhard Helle vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ. Es sei bekannt, dass das Dampfdruckdefizit in einem sich erwärmenden Klima zunimmt, aber es bestünden europaweit große Unsicherheiten hinsichtlich des Ausmaßes der langfristigen Veränderungen bis zurück in die vorindustrielle Zeit, in der es keinen starken menschlichen Einfluss gab. Aussagekräftige Datenreihen, die die regionalen Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Klimazonen angemessen widerspiegeln, seien eher spärlich.
Variationen von Atomen in Wasser und Baumringen
Um die Unsicherheiten zu verringern, wurden Jahrringdaten von 45 Waldstandorten in ganz Europa zusammengestellt, die bis ins Jahr 1600 zurückreichen. Die Studie basiert auf der Analyse stabiler Sauerstoffisotope, also Varianten des Sauerstoffs mit unterschiedlicher Masse. „Wir haben Baumring-Isotopendaten von Standorten in Deutschland, Spanien, Italien und der Türkei beigesteuert“, sagt Ingo Heinrich, früherer Wissenschaftler am GFZ und jetzt am Deutschen Archäologischen Institut in Berlin.
Die Isotopenverhältnisse des Sauerstoffs (18O/16O) im Wasserkreislauf sind Indikatoren für klimarelevante Prozesse. Ihre Variabilität hängt insbesondere mit Veränderungen der atmosphärischen Feuchtigkeit zusammen, die von der Lufttemperatur und den Niederschlägen abhängen.
Sauerstoffisotope werden von Bäumen bei der Wasseraufnahme durch die Wurzeln aufgenommen. Ihre 18O/16O -Verhältnisse werden vor allem während der Transpiration von Wasserdampf durch die Spaltöffnungen der Baumblätter verändert, also durch winzige Poren, die den Kohlendioxid- und Wasser-Gasaustausch zwischen den Blättern und der Atmosphäre regeln. Aufgrund des soliden Verständnisses dieser zugrundeliegenden Prozesse in der Wissenschaft und wegen ihrer weiten Verbreitung sind Bäume wie kein anderes natürliches Klimaarchiv für jährlich aufgelöste Rekonstruktionen der atmosphärischen Feuchtigkeit geeignet.
Jüngste Trockenheit vom Menschen verursacht und in Mitteleuropa am stärksten
Mit Hilfe von Modellsimulationen überprüften die Forschenden unabhängig voneinander die Ergebnisse aus den Isotopendaten der Jahresringe. Die Simulationen zeigen auch, dass das Dampfdruckdefizit des 21. Jahrhunderts im Vergleich zur vorindustriellen Zeit außergewöhnlich hoch ist. Mehr noch, sie zeigen, dass die heutigen Werte ohne Treibhausgasemissionen nicht hätten erreicht werden können. Der menschliche Einfluss ist offensichtlich, so die Schlussfolgerung.
Die Kombination von Jahrringdaten, Modellsimulationen und direkten Messungen verdeutlicht darüber hinaus auch regionale Unterschiede: In Nordeuropa hat der Wasserdurst der Luft im Vergleich zur vorindustriellen Zeit am wenigsten zugenommen, weil die Luft dort generell kühler ist und weniger Wasser aufnehmen kann.
Im mitteleuropäischen Tiefland sowie in den Alpen und Pyrenäen ist der VPD-Anstieg dagegen besonders stark, mit höchsten Werten in den Dürrejahren 2003, 2015 und 2018. „Diese Ergebnisse bestätigen in hohem Maße frühere Ergebnisse einer räumlichen Rekonstruktion der europäischen Sommertrockenheit, die aus einem viel kleineren Netzwerk von Baumstandorten gewonnen wurden, und unterstreichen die Wechselbeziehung zwischen Lufttrockenheit und Bodenfeuchtigkeit“, sagt Gerhard Helle.
Folgen der Trockenheit für Wälder und Landwirtschaft
Ein weiterer Anstieg des Dampfdruckdefizit stellt eine langfristige Bedrohung für viele lebenswichtige Ökosystemfunktionen dar. „Das Dampfdruckdefizit ist für die Landwirtschaft besonders wichtig, denn je höher es ist, desto größer ist der Wasserbedarf der Pflanzen“, erklärt Kerstin Treydte: „Es muss mehr bewässert werden und die Ernteerträge sinken, in den Wäldern sind der Holzvorrat und die Kohlenstoffspeicherung gefährdet, was zu Unsicherheiten hinsichtlich der Klimaregulierung und der Kohlenstoffspeicherung dieser Ökosysteme in der Zukunft führt.“
Dies sei in den dicht besiedelten Regionen Europas besonders besorgniserregend und mache es umso notwendiger, die Emissionen zu verringern und sich an den Klimawandel anzupassen. „Unsere Ergebnisse werden dazu beitragen, Simulationen künftiger Klimaszenarien zu verfeinern und die Bedrohung zu bewerten, die hohe Dampfdruckdefizit-Werte für Ökosysteme, Wirtschaft und Gesellschaft darstellen“, versichert Kerstin Treydte.
„Für ein dichteres Netz sind noch weitere aussagekräftige Datenreihen erforderlich, insbesondere von Standorten im polnischen und deutschen Tiefland, damit die komplexe Dampfdruckdefizit-Dynamik in den verschiedenen europäischen Regionen gleichermaßen widergespiegelt wird“, so Gerhard Helle.
Foto: Gerhard Helle, GFZ