Lebensmittelverschwendung zu stoppen, ist kein neuer Trend. Aber in der Politik werden zunehmend gesetzliche Vorgaben dafür gefordert. Zwar sieht man Probleme bei der Übernahme einer gesetzlichen Regelung wie zum Beispiel in Frankreich, wo Lebensmittelmärkte verpflichtet sind, unverkaufte, aber noch genusstaugliche Lebensmittel zu verschenken. Doch eine öffentliche Anhörung im Bundestag zeigte jetzt, dass die Unterstützung von Experten solche Forderungen.
So begrüßte der Journalist und Buchautor Stefan Kreutzberger die Initiative der Fraktion der Grünen im Bundestag. Er betonte die Notwendigkeit, rechtliche Hürden sowohl für den Lebensmittelhandel als auch für Lebensmittelretter abzubauen. „Diese agieren teilweise in einer rechtlichen Grauzone“, sagte Kreutzberger. Viele Betriebe fürchteten etwa, für die Weitergabe eventuell schlecht gelagerter Lebensmittel haftbar gemacht zu werden. Es brauche deshalb ähnlich wie in Italien auch in Deutschland eine Haftungsfreistellung. Auch sprach sich der Journalist dafür aus, das „Containern“ zu legalisieren und nicht zu kriminalisieren.
Franziska Lienert von der Lebensmittelretter-Initiative „Too Good To Go Deutschland“ plädierte für konkrete und verbindliche Reduktionsziele, um die Lebensmittelverschwendung in Deutschland wirksam zu senken. Gesetzliche Vorgaben zur verpflichtenden Weitergabe von Lebensmitteln seien zudem „sinnvoll“, denn sie steigerten das Bewusstsein für den dringenden Handlungsbedarf und sorgten für mehr Offenheit gegenüber neuen Konzepten der Lebensmittelrettung. Das zeige der Blick nach Italien und Frankreich, so Lienert: „Bei der Ausarbeitung solcher Gesetze müssen aber nationale Strukturen und Umsetzungsbedarfe der Tafeln berücksichtigt werden“, mahnte sie.
Ursachen für die Lebensmittelverschwendung identifizieren
Ähnlich argumentierte auch Evelin Schulz, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland: Ein Gesetz ähnlich wie in Frankreich, wäre zu kurz gegriffen. Die Strukturen und Finanzierungsmodelle im Ausland seien oft völlig anders als in Deutschland. Hier arbeiteten die örtlichen Tafeln auf freiwilliger Basis direkt mit allen Lebensmittelhändlern zusammen. Potenzial, um noch mehr Lebensmittel zu retten, bestehe hingegen in einer stärkeren Zusammenarbeit mit den Lebensmittelherstellern: „Wir wünschen uns, dass der Fokus auf die gesamte Wertschöpfungskette ausgeweitet wird.“ Die Ressourcen bei den Herstellern müssten für die Tafeln freigemacht werden, forderte Schulz.
Joyce-Ann Syre von der Deutschen Umwelthilfe mahnte mehr Entschiedenheit in der Umsetzung der 2019 von der Bundesregierung beschlossenen Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung an. „Bis jetzt haben nur zwei von fünf geplanten Dialogforen ihre Arbeit aufgenommen“, kritisierte Syre. Auch werde bereits deutlich, dass Freiwilligkeit und Dialog nicht ausreichten, um das erklärte Ziel, Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren, zu erreichen. Stattdessen brauche es eine verpflichtende Dokumentation von allen Akteuren, verbindliche Reduktionsziele und damit verbundene Sanktionen. Zudem seien repräsentative Daten gefragt, um Ursachen für die Lebensmittelverschwendung und wirksame Gegenmaßnahmen zu identifizieren.
Dies bestätigte Thomas Schmidt vom Thünen-Institut für ländliche Räume. Im Rahmen der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung werde genau daran gearbeitet. Erste Studienergebnisse lägen vor. Ein laufendes Monitoring würde jedoch die Datenlagegrundlage wesentlich verbessern. Da etwa die Hälfte der Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten anfielen, sei es darüber hinaus wichtig, die Wertschätzung von Lebensmitteln durch Bildung in Kitas und Schulen zu steigern. Die öffentliche Hand könne hier als „Frontrunner“ agieren, in dem sie in ihren Einrichtungen mit Verpflegungsauftrag Lebensmittelverschwendung selbst reduziere, schlug Schmidt vor.
Prinzip der Freiwilligkeit
Frank Waskow, Referent für Lebensmittelqualität und Nachhaltigkeit bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen monierte, dass oft die Verbraucher in den Fokus der Diskussion um Lebensmittelverschwendung gerieten: „Die Hauptschuld wird ihnen zugewiesen, obwohl die Wirtschaft mindestens ähnlich stark am Aufkommen von Lebensmittelabfällen beteiligt ist.“ Das Anliegen der Grünen, mehr Verpflichtung einzufordern, begrüße die Verbraucherzentrale deshalb ausdrücklich. Ohne gesetzliche Regelung seien die Reduktionsziele nicht zu erreichen.
Christian Böttcher vom BVLH Handelsverband Lebensmittel sah das anders. Er erklärte, die Verringerung von Lebensmittelverlusten liege auch im unternehmerischen Interesse des Handels. Dabei verfolgten die Händler unterschiedliche Ansätze: Neben einer „effizienten, auf selbstlernenden Algorithmen basierenden Warenbedarfsplanung“ spielten auch der preisreduzierte Verkauf von Frischeprodukten kurz vor Ladenschluss sowie Lebensmittelspenden an die Tafel und andere caritative Einrichtungen eine wichtige Rolle. Böttcher betonte jedoch, all diese Maßnahmen unterlägen dem „Prinzip der Freiwilligkeit“: So gelinge es den Unternehmen am besten, sowohl Kundenwünsche zu erfüllen als auch zum Schutz der natürlichen Ressourcen beizutragen.
Unterstützung von Tanja Dräger de Teran, Referentin beim WWF Deutschland: Sie räumte ein, dass freiwillige Vereinbarungen durchaus zum Erfolg führen könnten, das zeigten Beispiele aus anderen Ländern. „Maßgeblich ist jedoch, wie diese auf- und umgesetzt werden“, betonte Dräger de Teran. Der Erfolg beruhe meist auf „ambitionierten Vereinbarungen“ sowie einer „umfassenden Beratung und Unterstützung“ der Unternehmen. In Deutschland gelte es noch zu überprüfen, ob solche ambitionierten Vereinbarungen geschlossen werden könnten. Aber auch die Politik sei in der Pflicht: „Die derzeitigen Dialogforen stellen nur befristete Projekte dar.“ Der WWF plädiere deshalb für die Einrichtung einer „politisch und wirtschaftlich unabhängigen Koordinierungsstelle“, die gewährleiste, dass der Prozess verstetigt werde, sagte Dräger de Teran.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert einen Stopp der Lebensmittelverschwendung. Die Bundesregierung soll demnach alle in der nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung angekündigten Dialogforen bis Ende 2019 einrichten und in deren Rahmen verbindliche Reduktionsziele für alle Stufen der Wertschöpfungskette sowie Sanktionierungen bei Nichteinhaltung vereinbaren.
Die Grünen dringen zudem auf einen Gesetzentwurf, mit dem nach dem Vorbild Frankreichs Lebensmittelmärkte ab einer zu bestimmenden Größe verpflichtet werden, mit gemeinnützigen Organisationen, Bildungseinrichtungen oder Sozialeinrichtungen Verträge zu schließen und unverkaufte, aber genusstaugliche Lebensmittel aus ökologischen und sozialen Gründen zu verschenken. Lebensmittelproduzenten sollten verpflichtet werden, genusstaugliche Lebensmittel nicht aufgrund von beispielsweise Kennzeichnungsmängeln zu vernichten, sondern weiter zu verwenden. Die Lebensmitteltafeln und Foodsharing-Organisationen sollten bei Bedarf unterstützt werden, um Logistik und regionale Verteilung auszubauen und zu koordinieren.
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Quelle: hib