Trotz fast aussichtsloser Umweltsituation speist sich das Engagement der europäischen Umweltbewegung und Umweltakteure selbst fünfzig Jahre nach dem Club-of-Rome-Papier „Grenzen des Wachstums“ meist aus Idealismus.
„Auch Gruppen wie die ‚Letzte Generation‘ mit ihren Blockaden sind idealistisch geprägt, auch wenn sie auf apokalyptische Szenarien verweisen“, sagt jetzt die Politikwissenschaftlerin Doris Fuchs. Sie ist Sprecherin des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung und leitet am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster das Projekt „Religion als Ressource in der europäischen und internationalen Klimapolitik“.
„Schon die Club-of-Rome-Schrift basierte auf der Hoffnung, dass sich Politik und Bevölkerung zu mehr Nachhaltigkeit bewegen lassen“, erklärt Fuchs. Selbst nach Jahrzehnten fast vergeblicher Appelle trügen idealistische Motive die Bewegung. Dabei seien neue und drastischere Protestformen zu erwarten. „Das Gros der Bewegung wird jedoch keine Radikalisierung im Sinne eines Öko-Terrorismus tragen“, so Doris Fuchs. Bei religiösen und nichtreligiösen Umweltakteuren speist sich nach ihren Angaben das Engagement oft sowohl aus wissenschaftlicher Information als auch Naturverbundenheit.
Religiös motivierte Umweltakteure leisten demnach einen spezifischen Beitrag: „Viele sind aufgrund ihrer tief verwurzelten Werte zu einem fundamentalen Umdenken bereit“, meint die Expertin. Die Idee der immateriellen Basis eines erfüllten Lebens gehört zu ihren Kernbotschaften. „Damit erinnern sie auch an die genügsamere Lebensweise der Großeltern- und Urgroßelterngeneration und können Ansätze von Gruppen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion bereichern“, sagt Doris Fuchs. „Der Rückgriff auf alte religiöse Denktraditionen begründet innovative Forderungen eines nachhaltigen Lebensstils“, so die Forscherin: „Religion heißt aber nicht automatisch Umweltbewusstsein, wie das Beispiel evangelikaler Klimaleugner zeigt.“
Religionsvertreter mobilisieren die von Umweltaktivisten nicht erreichten
Ein zentrales Motiv religiöser Umweltakteure aus Christentum oder Islam ist laut der Politikwissenschaftlerin vor allem die Nächstenliebe, die als Auftrag zur Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen und dem globalen Süden verstanden wird. „Die päpstliche Enzyklika Laudato si über die Erschöpfung natürlicher Ressourcen sowie die Islamische Erklärung zum globalen Klimawandel, beide erschienen vor dem Pariser Klimagipfel 2015, trugen zu einer erkennbar stärkeren Mobilisierung in Gemeinden und auf politischer Ebene bei“, meint die Forscherin.
Namentlich im Islam habe das Engagement zugenommen: „Viele vom Klimawandel unmittelbar betroffene Menschen leben in islamisch geprägten Regionen wie Nordafrika oder dem Mittleren Osten.“ In Deutschland seien muslimische Umweltschutzvereine wie HIMA entstanden, das Abrahamische Forum organisiert religiöse Naturschutztage.
Im umweltpolitischen Diskurs der Europäischen Union und den Klima- und Nachhaltigkeitsgipfeln der Vereinten Nationen gewinnen demnach neben den christlichen nun verstärkt auch andere Religionsvertreter an Einfluss. „Sie vertreten gemeinsame Werte: Hinduisten, Katholiken wie Muslime sehen Gott in der Natur, die Natur gilt als Gotteswerk.“ Damit sei Religion in der Umweltpolitik ein einigender Faktor, der aber auch Umweltakteure ohne religiöse Rückbindung adressiere.
„Religionsvertreter können über eine glaubensbezogene Ansprache auch Menschen erreichen, die sich sonst von Umweltaktivisten, gerade von radikalen Protestformen, eher nicht angesprochen fühlen“, sagt Doris Fuchs: „Mit ihrer hoffnungsvollen Haltung erreichen sie viele Gläubige weltweit.“ Dabei können religiöse Umweltakteure ein Fundament für breites und langfristiges Engagement legen. „Eine gesellschaftliche Transformation braucht tief verwurzelte Werte, die zu einer grundlegenden Änderung des persönlichen Lebensstils und gesellschaftlicher Werte motivieren“, betont die Forscherin: „Hierzu leisten Religionen einen spezifischen Beitrag.“
„Religion ist nicht nur grün“
Der Zuwachs von religiösen Impulsen in der Umweltpolitik dürfe aber nicht über gegenteilige Haltungen hinwegtäuschen: „So wie viele Klimaleugner aus dem evangelikalen Spektrum stammen, ist etwa in Lateinamerika das Konzept des Wohlstandsevangeliums stark vertreten, Wachstum und Wohlstand gelten hier als Zeichen Gottes Gnade, nicht als Umweltgefahr“, erläutert Doris Fuchs: „Religiöse Positionen zur Nachhaltigkeit speisen sich aus unterschiedlichen Traditionslinien, die religiöse Traditionslinie der Bewahrung der Schöpfung steht für Nachhaltigkeit, ebenso die Verantwortung für (auch zukünftige) Nächste, während der Ansatz, der Mensch möge sich die Erde untertan machen, weiteren Ressourcenverbrauch rechtfertigen will.“
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