Wer diese Woche nicht mitbekommen hat, was das Klima über uns denkt – hier ein Versuch, es auszudrücken: „Ich finde euch Menschen zum Kotzen!“ Berechtigter Anlass für den verbalen Ausrutscher ist ein Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC, zur Klimakrise, der im nächsten Februar erscheinen soll. Einen Auszug davon veröffentlichte das IPCC jetzt vorab und beschreibt darin eine dramatische Aussicht für unser Weltklima, und zwar in nicht so weiter Ferne. Was Politik und andere pflichtgemäß dazu sagten, und warum sich trotzdem nichts ändert. Ein Blick darauf lohnt sich.
Auf Details, was der klimageschüttelten Erde nach jüngsten Erkenntnissen in den nächsten Jahrzehnten bevorsteht, verzichten wir hier. Doch kurz eine zentrale Aussage: Es sei eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat, stellt das IPCC klar. Das Ausmaß der jüngsten Veränderungen im gesamten Klimasystem und der gegenwärtige Zustand vieler Aspekte des Klimasystems seien seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos.
Beispiellos, das Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus“, heißt es weiter. Hat jemand den Mut, hier zu widersprechen? Hunderte Tote bei Hitzewellen in Amerika, durch Flutkatastrophen in Deutschland und im Feuerchaos am Mittelmeer sind wohl der beste Beweis. Die Warnung des IPCC ist deutlich: Schon in etwa zehn Jahren könnte die Erderwärmung die Marke von 1,5 Grad überschreiten, die nach dem Pariser Klimaabkommen möglichst für das ganze Jahrhundert halten soll.
Was sagt die Politik zum Klimabericht?
Wen sollte die Warnung erreichen? Die Politik? Löst die doch für uns die Probleme, in der Theorie zumindest. Mitten im Bundestagswahlkampf hat sich denn auch jeder zum IPCC-Bericht geäußert. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet will Deutschland zum ersten klimaneutralen Industrieland machen, Arbeitsplätze im Strukturwandel sichern und dafür sorgen, dass Klimaschutz sozial gelingt. Olaf Scholz (SPD) sagte ganz mutig: „Ich habe einen Plan.“ Er wisse, wie man die große industrielle Umstellung bewerkstelligt, die für den Klimaschutz notwendig ist.
Das ist mal ein Wort. Von der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hingegen kam nichts Neues: „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“ Die Wirtschaft sei schon viel weiter als die Politik. Das dürfte FDP-Chef Christian Lindner gefreut haben, schließlich setzt er beim Klimaschutz auf Innovationen der Wirtschaft. Nur wenn man jetzt handle, bleibe das Ausmaß des Klimawandels mit seinen Folgen realistischerweise beherrschbar, meinte indes Linken-Chefin Susanne Henning-Wellsow.
Alle Inlandsflüge sofort einstellen
Und eloquent wie immer reagierte die AfD. Politiker und Medien würden den IPCC-Bericht nutzen, um die Menschen in Angst und Panik vor dem drohenden Weltuntergang zu versetzen und sie gesellschaftlichen Umwälzungen gefügig zu machen, sagte ihr umweltpolitischer Sprecher im Bundestag, Karsten Hilse, dem Bayerischen Rundfunk.
Auffallend forsch war dann doch mal Bundesforschungsministerin Anja Karliczek von der CDU. Sie halte es für möglich, alle Inlandsflüge sofort einzustellen. Das dürfte bei der Deutschen Bahn Jubel ausgelöst haben, die ja schon lange versucht, im innerdeutschen Schnellverkehr für gehetzte Business-Reisende konkurrenzfähig zu werden. Allerdings hatte sich die Ministerin wohl nicht mit Claus Weselsky abgestimmt, der diese Woche als Chef der Lokführergewerkschaft GdL einen deutschlandweiten Bahnstreik ausrief. Gut, dass die Inlandsflüge noch nicht Geschichte sind.
Schon Mitte 90er Erwärmung des Weltklimas bekannt
Bleibt der Eindruck, dass Politik und Klimakrise irgendwie nicht zueinander finden. Dazu ein interessanter Rückblick in die politische Vergangenheit. In den neunziger Jahren gab es eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag, die hieß „Schutz der Erdatmosphäre“. Viele Jahre tagten Experten und Politiker, Ende 1994 erschien der Abschlussbericht. Die energiebedingten CO2-Emissionen seien für rund die Hälfte des anthropogenen, also menschlich bedingten Treibhauseffektes verantwortlich, so das Fazit. Setzten sich sowohl diese CO2-Emissionen als auch die Emissionen der anderen klimarelevanten Spurengase ungebrochen fort, so würde im globalen Mittel die Temperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um 3 ± 1,5 Grad Celsius steigen.
„Dies wird in der internationalen Wissenschaft nicht mehr in Frage gestellt“, betonte die Enquete-Kommission damals. Merken wir uns: Schon Mitte der 90er Jahre wusste die Politik, dass eine Erwärmung des Weltklimas droht. Auch damals hat die Wissenschaft schon deutliche Signale gesendet. Seitdem sind aber mehr als 25 Jahre vergangen. Hat sich etwas verbessert?
Bevor wir die Frage beantworten können, blicken wir auf drei Details der Klimakrise. Wenn wir die recht komplizierten Wechselwirkungen im Ökosystem von Erde und Atmosphäre außen vor lassen, sind die entscheidenden Beteiligten der CO2-Gehalt in der Atmosphäre, der weltweite Energieverbrauch und – der Mensch!
Schwankungen des CO2-Gehalts in der Erdgeschichte nichts Neues
Schauen wir uns zuerst den eigentlichen Bösewicht an, das CO2, auch Kohlendioxid genannt. Unumstritten ist, dass es die größte Schuld an der Klimakrise trägt. Das ist einfach zu erklären. Sonnenstrahlen, die die Erdoberfläche erreichen, werden dort in Wärme umgewandelt, die dann zum Teil über die Atmosphäre wieder entweicht. Daran gehindert wird sie unter anderem durch CO2.
Weil der Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre aber immer weiter ansteigt, erwärmt sich unsere Erde zunehmend, was in der Folge zu Hitzerekorden, Brandkatastrophen und Starkregen führt. Die Erderwärmung mache das Klima vor allem unausgeglichener und extremer sowohl in den nassen als auch in den trockenen Zuständen, berichtet Wenxia Zhang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking in einer neulich erschienen Studie.
Allerdings sind Schwankungen des CO2-Gehalts in der Erdgeschichte nichts Neues, dann allerdings meist in Zeitabschnitten von Millionen Jahren. Was die Menschheit seit Beginn der Industrialisierung macht, ist deshalb einzigartig. Sie holt das Kohlendioxid, das in fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas im Untergrund gebunden ist, durch Verbrennungsprozesse massenweise und in kürzester Zeit zurück in die Erdatmosphäre.
Unter die Oberfläche gelangte das Kohlendioxid im Zeitalter des Karbons, das vor etwa 359 Millionen Jahren einsetzte und sechzig Millionen Jahre dauerte. Die Wissenschaft schätzt den Gehalt an CO2 in der Atmosphäre zum Ende des Karbons auf rund 100 ppm (parts per million). Zum Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1850 lag der Wert bei etwa 280 ppm. Im Frühjahr 2021 haben wir 421 ppm erreicht. Übrigens: Im Jahr 1995, als der Bundestag den Bericht der Enquete-Kommission verabschiedete, waren es noch 360 ppm gewesen.
Weltweiter Energieverbrauch seit 1990 um rund 63 Prozent gestiegen
Ohne Energie geht auf unserer Erde nichts. Das gilt nicht nur fürs Autofahren, Handy aufladen oder Staubsaugen. Auch wer sich in den Garten setzt und ein Buch liest, setzt Energie um, die er oder sie als Mensch zuvor mit pflanzlicher oder tierischer Nahrung aufgenommen hat. Vereinfacht betrachtet entstammt diese Energie den Sonnenstrahlen, ohne die keine Nahrungspflanze – bei pflanzenfressenden Tieren keine Futterpflanze – wachsen kann.
Und wenn Energie bei Verbrennungsprozessen entsteht, ob im Automotor oder im menschlichen Körper, wird Kohlendioxid freigesetzt. Ein Schlüssel zur Reduktion des CO2-Gehalts in der Atmosphäre ist es also, weniger fossile Brennstoffe zu verbrennen, stattdessen auf Erneuerbare Energien wie Wind, Sonne oder Biomasse zu setzen. Denn die CO2-Quelle Mensch steht nun mal nicht zur Debatte.
Ob das weltweit gelingt, der CO2-Gehalt in der Atmosphäre muss schließlich global betrachtet werden, ist unsicher. Denn auch, wenn einzelne Länder es schaffen, durch Effizienzmaßnahmen weniger fossile Energie zu verbrauchen, ist der weltweite Energieverbrauch seit 1990 um rund 63 Prozent gestiegen, Wirtschaftswachstum und Konsumhunger sei Dank. Auch die geschätzte Abnahme um sechs Prozent im Corona-Jahr 2020 wird daran nichts ändern.
Der Mensch ist ein Opfer der Evolution
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Menschen ihr Verhalten ändern und den Klimawandel stoppen oder abschwächen. Tatsache ist aber: Alles, was abstrakt oder komplex ist, wird von den meisten Menschen nicht verstanden, was auch mit der Evolution zu erklären ist. Denn zu Beginn unserer Entwicklung ging es in erster Linie darum zu überleben. Nahte ein Raubtier, liefen wir weg. Eine komplexe Bedrohung wie den Klimawandel in der Ferne gab es nicht.
Aber es gibt noch andere, meist psychologische Verhaltensmuster, die unsere Unfähigkeit erklären. So gibt es zum Beispiel den „unrealistischen Optimismus“. Danach sind wir für unser eigenes Leben optimistischer als für das der anderen. Es wird mich schon nicht treffen, ich muss nicht aktiv werden, lässt sich diese Haltung ausdrücken. Wer weiß, wie viele Menschen beim Anblick der Flutkatastrophe im Ahrtal trotz solidarischem Mitgefühl so gedacht haben?
Auch soziale Normen sind relevant. So orientieren wir uns oft daran, wie sich andere Menschen um uns herum verhalten. Und wenn ich mich heute umschaue, ist nach wie vor ein konsumorientierter, CO2-intensiver Lebensstil die Norm. Warum soll ich also darauf verzichten, in meinen Urlaub zu fliegen, wenn alle um mich herum das auch tun? Und warum soll ich meinen tonnenschweren SUV zugunsten des Klimaschutzes abgeben? Fahren doch noch viele andere so ein Monster.
Am Ende gibt es aber auch noch den fatalen „Zuschauereffekt“. Damit meinen Psychologen das Gefühl, dass schon jemand anderes die Gefahr an meiner Stelle abwenden wird. Denken wir da nicht in erster Linie an die Politik?
Was bleibt als Fazit?
Eine Klimakrise haben wir schon lange. Vermutlich werden wir Menschen ihren krisenhaften Verlauf mit weiterem Kohlendioxidanstieg und zunehmend katastrophalen Wetterereignissen auch nicht verhindern können.
Die eigentliche Krise der Erde und ihrer Atmosphäre sind stattdessen wir, die Menschen. Wir wollen nicht großartig etwas verändern in unserem Leben, um uns und das Klima zu retten. Abgesehen von den wenigen einsichtigen Menschen, die es schaffen, fast ohne CO2-Ausstoß zu leben.
Stattdessen erwarten wir von der Politik, dass sie das Problem löst. Was aber bis heute nicht funktioniert, wie die Statistiken der letzten Jahrzehnte eindeutig belegen.
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