Beim klimafreundlichen Verhalten klaffen Wollen und Handeln häufig auseinander. Auch wenn die meisten Menschen den Klimawandel gebremst sehen möchten, verhalten sich viele nicht entsprechend nachhaltig. Forschende der Universität Bern zeigen mit den experimentellen Mitteln einer Gehirnstimulation, dass die Fähigkeit, sich in zukünftige Klimaopfer einfühlen zu können, nachhaltiges Verhalten fördert.
UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, hat gerade das Foto des Jahres 2021 veröffentlicht. Es zeigt die elfjährige Pallavi vor der von Zyklonen verwüsteten Küstenregion der Sundarbans in Indien. Sie ist eindeutig ein Klimaopfer. Forschende an der Universität Bern sind der Ansicht, dass Menschen sich eher nachhaltig verhalten, wenn sie sich in solche Klimaopfer hineindenken.
Nicht dass wir über die kritische Lage nicht Bescheid wüssten
Der globale Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. Doch trotz Warnungen der Wissenschaft und politischen Vereinbarungen sind wir weit davon entfernt, ihn abzubremsen. „Dass wir Menschen uns nicht klimafreundlicher verhalten, liegt aber nicht daran, dass wir zu wenig über die kritische Lage Bescheid wüssten“, sagt Daria Knoch, Professorin für Soziale Neurowissenschaft an der Universität Bern. Um mehr über die Gründe zu erfahren, was uns Menschen am nachhaltigen Handeln hindert, haben sie und ihr Team eine neurowissenschaftliche Studie durchgeführt.
Zwar sind schon heute die Folgen der Klimaerwärmung sichtbar. Doch die noch viel stärker betroffenen Opfer werden Menschen in der Zukunft sein, die uns unbekannt sind. „Es ist genau das Unvermögen, sich in diese Fremden hineinversetzen zu können, das von klimafreundlichem Handeln abhält“, kommentiert Daria Knoch die Resultate der neuen Studie, die sie mit ihrer Forschungsgruppe am „Social Neuro Lab“ an der Universität Bern durchgeführt hat.
Stimulation des Hirnareals für Perspektivenübernahme
Dazu wurden bei Probandinnen und Probanden ein Teil des Gehirns stimuliert, der bei der Perspektivenübernahme eine wichtige Rolle spielt. Diese Stimulation führte zu nachhaltigerem Verhalten. In dem Experiment entnahmen Teilnehmende in Vierergruppen einem gemeinsamen Pool echtes Geld. Jede Versuchsperson entschied für sich selbst: je mehr sie dem Pool entnahm, desto mehr hatte sie am Ende in der Tasche.
Wenn aber die Vierergruppe insgesamt zu viel Geld entnahm, hatte dies Konsequenzen für die nächste Vierergruppe im Experiment: Die Auszahlung an sie war wesentlich tiefer. Auf diese Weise wurde eine reale Situation nachgeahmt, bei der die Übernutzung einer Ressource negative Folgen für andere Menschen in der Zukunft hat.
Während der Entscheidung über den herauszunehmenden Geldbetrag erhielt ein Teil der Versuchspersonen, die Experimentalgruppe, eine Gehirnstimulation. Bei der dabei angewandten Technik wird durch einen nichtinvasiven, ungefährlichen, leichten elektrischen Strom am Schädel die Funktion des stimulierten Hirnareals gesteigert.
Die Berner Forschenden stimulierten ein Areal, das bei der Perspektivenübernahme stark involviert ist und fanden einen großen Effekt: Die stimulierten Personen entschieden nachhaltiger als die Teilnehmenden ohne Stimulation in der Kontrollgruppe, indem sie dem Pool nicht zu viel Geld entnahmen.
Sich durch Identifikation besser in ein Klimaopfer hineinversetzen
„Eine Gehirnstimulation kommt für die breite Bevölkerung natürlich nicht in Frage“, erklärt Benedikt Langenbach vom Social Neuro Lab. Die Funktion des betreffenden Areals kann aber laut den Forschenden zum Beispiel auch durch Neurofeedback und Meditation gesteigert werden. Benedikt Langenbach, der mittlerweile an der Universität Duisburg-Essen tätig ist, verweist auf zusätzliche Strategien, um die Perspektivenübernahme zu verbessern: „Wir wissen, dass es Personen eher gelingt, sich in jemanden hineinzuversetzen, zum Beispiel in ein Klimaopfer, wenn sie sich mit diesem identifizieren können.“
„Entsprechend können unsere neurowissenschaftlichen Ergebnisse dazu beitragen, die Kommunikation zur Klimakrise effektiver zu gestalten, etwa indem man den Betroffenen ein Gesicht und einen Namen gibt, anstatt von einer anonymen zukünftigen Generation zu sprechen“, sagt Daria Knoch.
Foto: © Supratim Bhattacharjee, Indien