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Zähe Leimflechte und Sparriges Kleingabelzahnmoos – 2022 wird ihr Jahr

Die Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa hat die Zähe Leimflechte und das Kleingabelzahnmoos zu „Moos und Flechte des Jahres 2022“ auserkoren. Die Fachgesellschaft möchte mit der Wahl auf die nahezu unbekannte Vielfalt der Lebewesen aufmerksam machen. Beide Arten verbindet zudem eine lange taxonomische Geschichte mit vielen Umbenennungen.

Gerade schön sieht sie auf dem Foto nicht aus, aber die Zähe Leimflechte, lateinisch Enchylium tenax, ist Sieger des Jahres 2022. Diese schwärzlich gefärbte Gallertflechtenart bildet kleine Lager von wenigen Zentimetern Größe und quillt bei feuchter Witterung stark auf. Zu finden ist der Pionier an offenen Stellen mit sandig-humosen bis tonig-lehmigen, basenreichen Böden oder in erdgefüllten Felsspalten sowie an Wegrändern, Deichen, aber auch an Mauern und in Pflasterfugen.

Moos deutschlandweit als gefährdet eingestuft

Auch das Sparrige Kleingabelzahnmoos, lateinisch Diobelonella palustris, ist Sieger des Jahres 2022. Es tritt in einen bis zehn Zentimeter großen, weichen, gelbgrünen Rasen auf. Deutschlandweit ist es als gefährdet eingestuft. Ursachen für die Gefährdung sind die Entwässerung von Mooren und die Einfassung von Quellen sowie Verbuschung und Bewaldung von Wiesenmooren.

Biologisch unterscheiden sich die beiden Arten stark. „Da ist zunächst mal ihre systematische Stellung: Flechten sind Pilze, Moose sind Pflanzen, hinzu kommen Unterschiede in der Verbreitung und Häufigkeit“, erklärt Christian Printzen vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. Er ist zusammen mit Volker Otte Vorstand der Arbeitsgemeinschaft: „Die Flechte ist weltweit verbreitet und kommt auch in Deutschland häufig vor, wird aber oft übersehen, das Moos ist auf hoch gelegene Quellfluren oder Bachränder beschränkt und wird selbst in seinen Kerngebieten in den Alpen und den höheren Mittelgebirgen immer seltener.“

Flechte erlebt kuriose Geschichte verwirrender Namensänderung

Was die beiden verbinde, so Christian Printzen, sei eine kuriose Geschichte verwirrender Namensänderungen. So wurde die Zähe Leimflechte schon 1784 unter dem Namen Lichen tenax erstmals und 1797 als Lichen pulposus ein weiteres Mal beschrieben. Seit 1810 war sie dann etwa 200 Jahre lang unter dem wissenschaftlichen Namen Collema tenax geläufig, was die Fachleute nicht daran hinderte, sie in dieser Zeit irrtümlich noch weitere dreißig Mal unabhängig als „neue Art“ zu beschreiben.

Im Zuge einer molekulargenetischen Untersuchung stellte sich 2013 heraus, dass die Art nicht zu Collema gehört, sondern in eine „neue“ Gattung überführt werden musste, für die allerdings der bereits 1821 in Umlauf gebrachte Name Enchylium zur Verfügung stand.

Auch mit dem Kleingabelzahnmoos hat es die Wissenschaft den Angaben nach bunt getrieben. Die Art wurde 1801 als Bryum palustre und zwei Jahre später als Dicranum squarrosum beschrieben. 1873 wurde sie in die Gattung Diobelon überführt, 1915 zu Anisothecium gestellt, 1962 in Dicranella eingegliedert.

Erste genetische Untersuchungen zeigten 1999, dass die Art näher der Gattung Dichodontium steht. Wegen anatomischer Unterschiede landete sie 2003 schließlich in der Gattung Diobelonella, was sich durch neue genetische Untersuchungen erst dieses Jahr bestätigen ließ.

„Die deutschen Pflanzennahmen wechseln von Ort zu Ort, die wissenschaftlichen Namen von Jahr zu Jahr, dieses Bonmot erfasst kurz und knapp ein allen an Botaniker interessierten Menschen bekanntes und leidiges Phänomen“, sagt Volker Otte vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz: „Eigentlich soll die biologische Nomenklatur für Kontinuität sorgen. Das Problem ist, dass sich unsere Kenntnisse zur Abgrenzung ähnlicher Arten fortwährend verbessern und dass der aus Gattung und Artzusatz gebildete Name gleichzeitig die Verwandtschaftsverhältnisse abbilden soll.“ Darunter leide manchmal zwangsläufig die Stabilität der Benennung.

Globaler Klimawandel Grundlage für die Wahl der Arten des Jahres

In den vergangenen Jahren haben die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft vorwiegend ökologische Themen, wie den globalen Klimawandel oder die Wirkungen bestimmter Umweltbelastungen als Grundlage für die Wahl der Arten des Jahres verwendet. „Diese Themen und die damit verbundene Problematik sind heute bei weitem nicht überwunden, aber in diesem Jahr wollten wir auf die zeitliche Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse hinweisen“, so Printzen zur Auswahl: „Daher haben wir die Taxonomie als aktuelles Thema gewählt.“

Foto: M. Schultz

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