Wenn zu Jahresbeginn die Sektkorken knallen, ist auch die Mikrobe des Jahres 2022 beteiligt. Denn die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae ist nicht nur an der Produktion von Bier und Brot beteiligt, auch Sekt entsteht mit ihrer Hilfe.
Hefen sind winzige Einzeller und zählen zu den Mikroben, auch wenn sie – anders als Bakterien – einen Zellkern besitzen. Diese Verwandtschaft mit Menschen macht sie zu einem idealen Forschungsobjekt. Als kleine „Zellfabriken“ stellen sie Medikamente und Rohstoffe in industriellem Maßstab her. „Zuckerpilz des Bieres“ bedeutet der lateinische Name Saccharomyces cerevisiae.
Bäckerhefe ist auch ein großer Braumeister
Diesen für unseren Genuss und nachhaltige Produktion bedeutenden Mikroorganismus wählte die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie deshalb jetzt zur Mikrobe des Jahres 2022. Sie ist ein großer Braumeister, obwohl sie so winzig ist, dass zehn ihrer Zellen gestapelt gerade mal die Dicke von Papier erreichen. Sichtbar wurde die Brauhefe erst mit der Erfindung des Lichtmikroskops im Jahr 1680 in Form vieler kleiner Teilchen, die das Bier trübe machen. Es dauerte fast 200 weitere Jahre, bis Louis Pasteur lebende Hefezellen als Ursache für die alkoholische Gärung erkannte.
Natürlicherweise ernähren sich Hefezellen von Zuckerverbindungen aus Blättern und Früchten. Sie bauen Glukose oder Fruktose zu Kohlendioxid-Bläschen (CO₂) und dem Alkohol Ethanol ab. Der Alkohol verschafft der Hefe einen Vorteil: Er tötet konkurrierende Mikroorganismen. Hat die Hefe den Zucker vernascht, kann sie den selbst produzierten Ethanol weiter abbauen.
Bäckerhefe lässt den Hefeteig locker werden
Die Hefefermentation nutzen die Menschen seit Jahrtausenden: Schon die alten Ägypter stellten eine Art Bier her. In früheren Jahrhunderten war dies ein Getränk selbst für Kinder, weil es viel keimärmer war als das häufig verschmutzte Wasser. Auch Wein und Sake beruhen auf der Gärtätigkeit von Hefe. Zur Schaumbildung beim Sekt wird in der zweiten Gärung eine Hefevariante (Saccharomyces bayanus) eingesetzt, die auf drei verschiedene Hefen zurückgeht, darunter die Bäckerhefe.
Auch im Kuchenteig produzieren die einzelligen Hefepilze der Bäckerhefe Kohlendioxid-Bläschen: Mehl besteht aus verknüpften Zuckern (Kohlenhydraten), die Saccharoymces cerevisiae zu CO₂ umsetzt. Durch kräftiges Kneten verteilen sich die Hefezellen im Teig, leichte Wärme regt ihren Stoffwechsel und ihre Vermehrung an. Die entstehenden Bläschen lassen den Hefeteig locker werden, er geht auf.
Bäckereien, Brauereien, Wein- und Sektkellereien verwenden eine Vielzahl unterschiedlicher Hefestämme und -arten. Im für Brot verwendeten Sauerteig unterstützen Milchsäurebakterien die Hefe. Die genaue Zusammensetzung und ihre Einsatzbedingungen sind häufig gut gehütete Betriebsgeheimnisse.
Veränderte Hefezellen helfen bei industrieller Herstellung von Polyester
Hefezellen dienen auch als zelluläre Fabrik. Davon profitieren beispielsweise Diabetiker seit Jahrzehnten: In das Hefegenom wurde das menschliche Insulin-Gen „eingepflanzt“, sodass dieser winzige Organismus einen Großteil des menschlichen Hormons für die Diabetestherapie produziert.
Forscherteams versetzten die Hefe zudem mit Hilfe von Genen aus Pilzen und Bakterien in die Lage, natürliche Zucker aus Holz (Xylose) in Ethanol umzuwandeln. Damit können pflanzliche Abfallstoffe heute als Rohstoff und Energiequelle dienen.
Veränderte Hefezellen können auch Bernsteinsäure herstellen, einen Baustein zur industriellen Herstellung von Polyester. Der Malaria-Wirkstoff Artemisinin wird durch eine ausgefeilte „Umleitung“ des Hefe-Stoffwechsels produziert. Dieser Prozess diente auch als Ausgangsbasis für die Herstellung des chemisch verwandten Ersatz-Flugzeugkraftstoffs Farnesen.
Foto: Mara Reifenrath, Frankfurt am Main