Es ist eine Meldung, mit der niemand rechnet, die aber in die Zeit passt. Der Verband Deutscher Reeder fordert mehr Unterstützung für Seeleute ni Einsamkeit. Man solle sie als systemrelevant einstufen, was zuletzt Pflegepersonal oder Mitarbeitenden in Supermärkten als Status verliehen wurde. „Die Seeleute liefern uns trotz Corona auch in diesem Jahr die Weihnachtsgeschenke und viele Waren, mit denen Weihnachten zu einem besonderen Fest gestaltet werden kann“, argumentieren die Schiffsbesitzer. Es sei deshalb besonders bitter, wenn viele von ihnen infolge der Pandemie nicht an Weihnachten zu Hause bei ihren Familien sein können, weil sie immer noch unter starken Reisebeschränkungen leiden würden.
In gewisser Weise ähneln Seeleute also einer Astronauten-Crew, die Wochen oder Monate allein oder mit wenigen Mitastronauten isoliert auf engem Raum im All leben. Ein Zustand, den alle am Beginn der ersten Welle erlebten, als im Lockdown das Leben heruntergefahren wurde und Einsamkeit für viele Singles eine neue Bedeutung bekam, aber auch Familien ganz neue Erfahrungen mit sich selbst machten.
Im März 2020 versuchte deshalb der Kölner Astronaut Alexander Gerst – auch als „Astro-Alex“ bekannt –, Betroffenen Mut zu machen. Es sei sehr wichtig, dass man positiv nach vorne schaue, sagte er. Ein geregelter Tagesablauf sei jetzt wichtig. Zur Ablenkung könne man sich Projekte vornehmen, zum Beispiel eine neue Sprache zu lernen. Die Corona-Krise zu überwinden, biete auch Chancen. Er hoffe, dass das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werde.
Einsamkeit als negative Empfindung, von anderen getrennt zu sein
Ermutigende Worte, die zur ersten Welle im Frühjahr passten. Gemeinsam hat Deutschland die Zahlen der Neuinfektion in den Griff bekommen. Aber jetzt, kurz vor Weihnachten sieht es in der zweiten Welle nicht danach aus. Die Neuinfektionen nehmen an Fahrt auf. Und vermutlich werden viele Menschen an Weihnachten den Begriff Einsamkeit ganz neu definieren.
Wofür steht das Wort? Psychologen bezeichnen Einsamkeit als negative Empfindung, von anderen Menschen getrennt zu sein. Sie schränken aber ein, dass manche bewusst die Einsamkeit suchen, um zur Ruhe zu kommen, die Sinne zu schärfen, sich auf etwas Neues zu fokussieren. Es gibt aber auch Menschen, die unter chronischer Einsamkeit leiden wenn ihr soziales Netz zusammenbricht oder eine Krankheit verhindert, Beziehungen zu anderen Menschen zu haben. Die Splendid Research GmbH stellte 2019 in einer repräsentativen Umfrage fest, dass 31 Prozent der Deutschen andere Menschen brauchen, um sich gut zu fühlen. Danach haben zwar 66 Prozent der Deutschen immer jemanden, um über alltägliche Probleme zu sprechen. Aber 24 Prozent fällt es schwer, neue Freunde zu finden.
Im Juni 2019 hatte das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln eine Studie zur Einsamkeit in Deutschland herausgebracht, also vor Corona. Entgegen der häufigen Annahme, dass die Einsamkeit zunimmt, zeigte die Studie mit einem Vergleich von Daten aus den Jahren 2013 und 2017 einen leichten allgemeinen Rückgang. Während sich 2013 noch 10,5 Prozent aller Personen einsam gefühlt haben, waren es 2017 nur 9,5 Prozent.
Einsamkeit trete zwar häufiger bei älteren Personen auf, jedoch weise auch die mittlere Altersklasse der 30- bis 39-Jährigen relativ hohe Werte auf. In der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen findet sich laut der Studie die stärkste negative Dynamik: in dieser Altersgruppe sei der Anteil der einsamer gewordenen Personen am höchsten. Solche, die sich in Ausbildung befänden und damit eher jünger, seien in höherem Maße von Einsamkeit betroffen.
Einsamkeit kann auch krank machen
Das Institut stellt aber auch fest, dass die Vielschichtigkeit Einsamkeit auslösender Faktoren und die individuellen Unterschiede eine genaue Betrachtung schwer machten. Faktoren wie der soziale und kulturelle Einfluss oder die Identität und Persönlichkeit der Person spielten eine Rolle. Ebenso die persönlichen Gedanken und Gefühle über die eigenen Einflussmöglichkeiten und Dauer des Zustandes. „Erlebt die Person bestimmte Ereignisse oder Veränderungen wie einen Umzug, Arbeitsplatzverlust oder den Verlust einer geliebten Person, können diese Erlebnisse in einer ungünstigen Kombination mit den Rahmenbedingungen und persönlichen Faktoren das Gefühl von Einsamkeit auslösen oder verstärken“, heißt es.
Einsamkeit kann auch krank machen. Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Angsterkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs und Demenz. Die amerikanische Wissenschaftlerin Julianne Holt-Lunstad zeigt mit ihrer Forschung, dass Menschen mit funktionierenden sozialen Interaktionen seltener an Krankheiten leiden. Soziale Interaktionen schützen demnach das Herz und stärken das Immunsystem. Holt-Lunstad verweist darauf, dass bei sozialen Interaktionen die Anzahl so genannter Killerzellen im Immunsystem steigt. Sie können verhindern, dass Krebs entsteht. Auch Holt-Lunstad betont, dass Einsamkeit ein großer Risikofaktor sei.
Das Institut der deutschen Wirtschaft stellte im Jahr vor der Pandemie in seiner Studie über Einsamkeit fest, dass eine häufigere Teilnahme an Freizeitaktivitäten mit geringerer Einsamkeit verbunden sei. Gut zu wissen, aber im Lockdown einer Pandemie passt diese Erkenntnis nicht mehr. Ein Bericht der Autorin Selina Thaler über den österreichischen Astronauten Franz Viehböck, der acht Tage im All war, liefert hingegen gute Hinweise.
Für Astronauten, aber auch Menschen in Isolation sei es wichtig, die eigenen Bedürfnisse und die der anderen zu kennen, zitiert sie die Weltraumpsychologin Alexandra Hofmann, Leiterin des Bereichs Human Factors beim Österreichischen Weltraum-Forum: „Wenn sich Umstände ändern, geraten Menschen in Stress. Besonders wenn sie nicht wissen, was ihnen gerade fehlt.“ Da müsse sich jeder fragen, was geht mir derzeit am meisten ab, und wie kann ich es ersetzen, damit es mir gut geht? Und was brauchen meine Mitbewohner, die gerade im Homeoffice arbeiten?
Wie gehen Astronauten mit Einsamkeit um?
Interessant: Nach der Hälfte der Mission kommt es laut Hofmann am meisten zu Konflikten. Dann werde den Astronauten bewusst, dass sie noch mal so viel Zeit vor sich haben. Sie empfiehlt Personen, die keine konkrete Aussicht auf ein Ende der Isolation haben, für die Zeit danach etwas Schönes zu planen, auf das man sich freut, eine Perspektive zu schaffen.
Astronaut Viehböck setzt auf Routine: Die immer gleiche Weckzeit, dann Morgentoilette, Frühstück, Arbeit, Mittagessen, Arbeit, Freizeit, ein bis zwei Stunden Sport, Abendessen, regelmäßige Schlafenszeit. Eine aufgeräumte Wohnung und ein ordentlicher Arbeitsplatz seien ebenfalls wichtig. Und man solle auch Dinge einplanen, die einem gut tun. Während man in der Raumstation auch mal zur Decke schweben kann, um allein zu sein, empfiehlt Weltraumpsychologin Hofmann auf der Erde einen Raumplan. Etwa wenn Zimmer gemeinsam genutzt werden, dann könne man vereinbaren, dass eine Person von zwölf bis 14 Uhr ins Wohnzimmer darf.
Hofmann spricht auch an, dass es uns mit unseren Sinnen in der Isolation fehlt, im Alltag viele unterschiedliche Dinge wahrzunehmen: Temperaturunterschiede, Wind, Lärm, Oberflächen, die Haut anderer Menschen. Unser Gehirn brauche es aber, Informationen zu verarbeiten. Fallen Reize weg, langweile es sich. Die Menschen stumpften ab, ihre Stimmung trübe sich. Um das Gehirn bei Laune zu halten, könne man sich Tulpen kaufen und daran riechen, oder regelmäßig Spaziergänge machen.
Das Alleinsein in Corona-Zeiten ist ein Problem für viele Menschen, aber auch eine Herausforderung für die Wissenschaft und Forschung. Erste Forschungsergebnisse zu den psychischen Belastungen durch die Pandemie und Strategien gegen die Einsamkeit liefert zum Beispiel die Westfälische Wilhelms-Universität in Münster in ihrer Unizeitung wissen|leben.
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