Strukturwandel war früher ein Begriff, der vielen Menschen nichts sagte. Heute, Jahrzehnte, nachdem zum Beispiel im Ruhrgebiet die Wirtschaft einen deutlichen Umbau erlebt hat, ist das Wort vielen geläufig.
Nun reden alle von der Digitalisierung. Erneut ein Begriff, der vermutlich erst in vielen Jahren jedem etwas sagt. Die einen verstehen darunter immer noch, dass wir seit den 1970er Jahren zunehmend analoges Papier in digitale Formate umgewandelt und gespeichert haben, um es dann irgendwie zu verarbeiten. Übersetzt in die Zeit von Handy & Co.: Wer ein Foto mit dem Smartphone macht und dann die App zum Bearbeiten des Bildes aufruft, ist dabei zu digitalisieren.
Aber ist das die Digitalisierung, von der Politik und Experten immer öfter reden? Sicher nicht! Die debattieren eher über den digitalen Wandel, auch als digitale Transformation bezeichnet. Dahinter stecken die vielen fortschrittsbedingten Veränderungsprozesse in Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik. Diese Prozesse möchten sie alle gern nach vorn bringen.
Denn die Vorteile liegen auf der Hand: Wenn Digitalisierung ihren Zweck erfüllt, schafft sie es, analoge Informationen wie etwa Krankendaten, physische Objekte wie zum Beispiel die Konstruktion einer Maschine oder Ereignisse wie beispielsweise ein Erdbeben in Dateien abzuspeichern. Danach können diese digitalen Informationen vielfältig verteilt oder verarbeitet werden. Von Big Data ist dann die Rede, also einer riesigen Menge an Daten, die Wirtschaft und Wissenschaft neue Möglichkeiten bietet. Verbraucher, um deren Daten es der Wirtschaft meist geht, haben dabei eher das Nachsehen.
Kultureller Wandel für Industriebtriebe
Fakt ist, die Digitalisierung kommt! Was bedeutet sie für die Wirtschaft in Deutschland. „Die Industriebetriebe müssen einen kulturellen Wandel weg von einer rein produktzentrierten Sichtweise anstoßen und den ökonomischen Wert von Daten und digitalen Geschäftsmodellen erkennen“, meint Christian Lerch. Er ist Leiter des Geschäftsfelds Industrieller Wandel und neue Geschäftsmodelle beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Nach seinen Angaben nutzten vor zwei Jahren erst 30 Prozent der Industriebetriebe hierzulande Transaktions-Plattformen: zum Beispiel für den digitalen Produktvertrieb oder für Internet of-Things (IoT)-Plattformen in der Produktion.
Für den Mittelstand hat die Commerzbank 2017 eigens eine Beteiligung gestartet, um diese bei der Digitalisierung zu fördern. Die openspace GmbH in Berlin soll Unternehmen helfen, bestehende Geschäftsmodelle um digitale Produkte und Prozesse zu ergänzen. „Wir möchten mittelständische Unternehmen dazu befähigen, ihre Geschäftsmodelle grundlegend an neue digitale Standards anzupassen und die Verunsicherung gegenüber Digitalisierung zu verlieren“, sagt openspace-Geschäftsführer Joachim Köhler: „Das Prinzip ,Hilfe zur Selbsthilfe‘ steht dabei an oberster Stelle.“
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier sieht Digitalisierung als Pflichtaufgabe: „Breite Datenverfügbarkeit und mehr Wagniskapital sind gerade für mittelständische Unternehmen wichtige Voraussetzungen für eine fortwährende Wettbewerbsfähigkeit“, meinte er kürzlich. Er will die europäische Dateninfrastruktur ausbauen und „Game Changer-Technologien“ finanzieren. Game Changer, zum Beispiel innovative Unternehmen, sorgen dafür, dass bisher geltende Regeln und Mechanismen außer Kraft gesetzt und durch neue ersetzt werden. So kann sich eine Branche oder ein Markt radikal ändern. Das passt gut zur Digitalisierung.
Verbraucherschützer warnen vor digitaler Exklusion
Aber was macht die Digitalisierung mit uns Verbrauchern? Wissen wir überhaupt schon, dass unser Leben großenteils digital erfasst und bearbeitet wird? „Datenschutz und Datensicherheit sind keine Hindernisse, sondern eine Grundbedingung erfolgreicher Digitalisierung“, stellt Klaus Müller klar, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands in Berlin. Die Verbraucherschützer sehen in der Digitalisierung zwar eine Chance und Gestaltungsaufgabe, von der alle profitieren können. Sie berge aber auch Risiken für Verbraucher: etwa die Wahrung der Selbstbestimmtheit oder die Kontrolle der persönlichen Daten. Auch spiele die IT-Sicherheit eine immer größer werdende Rolle, wie zahlreiche Beispiele entdeckter Sicherheitslücken und gehackter IT-Produkte zeigten. Und sie warnen vor einer „digitalen Exklusion“ Einzelner.
„Die Regeln unseres Zusammenlebens sind, historisch bedingt, geprägt durch die Regeln, die für die analoge Welt geschaffen wurden. Diese hinken allerdings in Teilen der Entwicklung hinterher und können für bestimmte Problemstellungen, die Verbraucherinnen und Verbraucher im Umgang mit digitalen Leistungen erfahren, keine befriedigenden Antworten geben.“
Wolfgang Schuldzinski
Vorstand der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf
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