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Stirbt die Liebe auf den ersten Blick hinter der Corona-Gesichtsmaske?

Ob es Liebe auf den ersten Blick gibt oder ob es nur Anziehung ist oder auch nur der Halo-Effekt, bei dem wir uns von einzelnen Eigenschaften des Gegenübers in seiner Wahrnehmung beeinflussen lassen, das ist hier nicht wichtig. Angenommen, Menschen sind in der Lage, sich in wenigen Millisekunden in einen neu auftauchenden Menschen zu verlieben, dann stellt sich doch heute in der Corona-Pandemie die Frage, ob eine Gesichtsmaske das verhindert? Schließlich dürften auffallende Merkmale wie Augen, Lippen, Zähne, Haare oder auch Grübchen für viele ausschlaggebend sein?

Der Valentinstag ist gerade wieder mal vorbeigezogen. Aber Statistiker berichten weiterhin, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen an die Liebe fürs Leben glauben. Etwas mehr als die Hälfte schwört zudem auf die berühmte Liebe auf den ersten Blick, über 40 Prozent wollen sie schon einmal erlebt haben.

Wie funktioniert Liebe?

Zwar sprechen alle vom Herzen, wenn sie über die Liebe schwelgen. Rationaler gehen Psychologen vor, indem sie Verliebtheit als eine Einengung des Bewusstseins bezeichnen, die zur Fehleinschätzung des Objektes der Zuneigung führen kann. Doch am Ende ist Liebe ein körperliches Phänomen, das vom Gehirn gesteuert wird. Frisch Verliebte haben einen erhöhten Herzschlag, feuchtere Haut und Hände, die Wangen sind stärker durchblutet und röten sich.

Federführend dabei ist das limbische Belohnungssystem im Gehirn. Es verdrängt ein anderes Gehirnareal, den präfrontalen Cortex, der für unser rationales Denken zuständig ist. Ängste haben also erst mal nichts zu sagen, wenn sich Liebe entfaltet. Chemisch betrachtet sind dann Botenstoffe und Hormone unterwegs, bekannte Vertreter sind Dopamin, Serotonin, Neutrophin und Oxytocin. Regelrecht gnadenlos ist der Botenstoff Dopamin. Wegen seiner vermehrten Ausschüttung wird Verliebtheit von den meisten Menschen als außerordentliches Glücksgefühl empfunden.

Aber auch das männliche Geschlechtshormon Testosteron mischt mit. Wissenschaftler haben bei verliebten Männern eine sinkende Konzentration im Blut beobachtet. Gleichzeitig steigt es bei verliebten Frauen. Das Ausschalten störender Unterschiede zwischen Mann und Frau könne ein harmonisches Miteinander zum Zweck haben, damit aus der Verbindung Nachwuchs entsteht, vermuten die Forscher.

Gibt es Liebe auf den ersten Blick?

Während Forscher, die die Chemie und Psyche gereifter Liebe messen wollen, jederzeit langjährige feste Partnerschaften dafür anzapfen können, ist das Phänomen echter spontaner Liebe auf den ersten Blick schwer greifbar. Wissenschaftler haben dafür aber ein halbwegs ähnliches Forschungsfeld entdeckt: Das Speed-Dating, eine um 1998 von einem Rabbi in Los Angelos entworfene Methode, neue Flirt- oder Beziehungspartner zu finden. Er wollte eine Kontaktplattform für seine jüdische Gemeinde schaffen, um die Zahl jüdischer Ehen zu erhöhen.

Aber schon lang haben findige Unternehmen diese Form des Kennenlernens kommerzialisiert. Eines davon war „HurryDate“ in Amerika. Die Daten dieses Flirt-Anbieters hat der Psychologe Robert Kurzban 2004 analysiert. Und er kam zu dem Ergebnis, das unter rund 10500 HurryDate-Teilnehmern ein Großteil innerhalb von wenigen Sekunden Anziehung gespürt hat.

Auch der jung verstorbene deutsche Psychologe Florian Zsok hat mit Speed-Dating-Daten die Liebe auf den ersten Blick untersucht. Knapp über dreißig seiner 400 Probanden sprachen nach ihren Begegnungen von Liebe auf den ersten Blick. Es waren durchweg Männer. Zsko schlägt aufgrund seiner Studie vor, dass Liebe auf den ersten Blick keine eigenständige Form der Liebe ist, sondern eine starke anfängliche Anziehungskraft. Was wir als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen, ist also eine körperliche Anziehung, die unsere Bereitschaft steigert, eine Beziehung einzugehen.

Das könnte die amerikanische Anthropologin Helen Fisher bestätigen, die sagt: „Männer sind sehr visuell, wenn ihnen eine Frau optisch gefällt, reicht das oft aus, um bei ihnen romantische Gefühle auszulösen.“ Und die Psychologin Maris Cohen sieht in Liebe ein starkes Verlangen danach, zu einer Person eine Verbindung aufzubauen. Wenn dieses Verlangen in den ersten Minuten einer Begegnung aufkommt, könne man von Liebe auf den ersten Blick sprechen.

„Entscheidend ist dann das Spiel der Augen“, glaubt Wolfgang Krüger, Psychotherapeut in Berlin. Die Liebe auf den ersten Blick setze voraus, dass man mit Liebeserwartungen in die Welt schaue. „Ich bezeichne dies immer als Drehbuch der Liebe, in dem meine Sehnsüchte und Erwartungen enthalten sind. Dort ist festgeschrieben, in welchen Typus, in welche Eigenschaften wir uns verlieben. Dann braucht man nur wenige Anzeichen, um den Prozess der Hoffnung auszulösen.“

Oft reiche dazu eine Stimme, es könnten die Augen des anderen sein, selbst die schriftlichen Aussagen eines Menschen, wenn man ihn beispielsweise per Internet kennenlernt, erklärt der Experte. „Und ich kann mich manchmal in jemanden verlieben, den ich nur von hinten auf der Rolltreppe sehe“, so Krüger. „Wichtig ist dabei, dass ich die Bewegung sehe, die Ausstrahlung spüre. Deshalb können wir uns bei einer Tanzveranstaltung in jemanden verlieben, der weit entfernt steht. Das Gesicht sehe ich nur schemenhaft, aber ich begreife, ich ahne: das ist mein Typ.“

Welche Rolle spielt die Gesichtsmaske?

Eine Möglichkeit, die Folgen der Pandemie auf das gesellschaftliche Liebesleben zu messen, könnte in den Zahlen zu Eheschließungen und der Geburtsstatistik liegen. Doch, selbst wenn die Statistiken Aussagekraft haben, dürften erst die Zahlen der nächsten Jahre zu genaueren Analysen taugen, wie sich Corona auswirkt. Schließlich muss die Liebe auf den ersten Blick ja erst mal auf fruchtbaren Boden fallen. Und dann spielen auch noch viele andere Faktoren mit.

Bliebe die Möglichkeit, Menschen in der aktuellen Situation zu befragen. „Es gibt ein paar noch nicht publizierte Studien zur Emotionserkennung trotz Maske“, berichtet der Neurowissenschaftler Andreas Bartels am Werner Reichardt-Centrum für integrative Neurowissenschaften der Eberhard Karls Universität Tübingen. Bartels untersucht seit Jahren, was sich im Gehirn schwer Verliebter alles so tut.

„Natürlich ist alles etwas eingeschränkter“, schätzt der Experte die aktuellen Chancen der Liebe auf den ersten Blick ein. Zumal schon lange bekannt sei, dass die Mundregion besonders wichtig zur Emotionserkennung ist. Aber, so Bartels: „Bei Liebe geht es um mehr, die Augen spielen eine große Rolle bei der Einschätzung anderer, wie auch die Körpersprache.“ Sein Fazit aus dem Bauch heraus: „Ja klar, Liebe auf den ersten Blick kann sicher auch über Augen- und Körpersprache funktionieren, wenn auch vielleicht weniger häufig und nur in noch klareren Fällen als ohne Maske.“ Und zum Glück kann die Maske ja auch mal abgenommen werden.

Psychotherapeut Wolfgang Krüger lenkt unseren Blick dorthin, wo Frauen voll verschleiert auf die Straße gehen müssen. „Die Verliebtheit gelingt auch dort“, stellt er fest. Auch zu Zeiten, als der Adel bei großen Festen den Brauch pflegte, eine Maske zu tragen. „Das hat die Erotik eher befeuert, die Liebe entfacht, keineswegs behindert.“

Selbstverständlich sieht auch Krüger in der Corona-Pandemie eine Beeinträchtigung. Aber er beobachte zugleich ein erhöhtes Liebesverlangen. „Einmal, weil wir einsamer sind, und dann, weil andere Möglichkeiten des Kontakts weniger gut möglich sind.“ Dennoch fühlt er sich aufgrund einer eigenen Umfrage bestätigt: „Wir werden später sehen, dass sich trotz Corona sehr viele Menschen in diesen Monaten verlieben. Ich vermute sogar, dass diese Zahl zunimmt.“

PS: Mittlerweile haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften darauf hingewiesen, dass Masken zwar effektiv vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen, aber möglicherweise auch eine unerwünschte Nebenwirkung haben: Sie beeinträchtigen die soziale Kognition, also die Fähigkeit, Emotionen und mentale Zustände anderer Personen zu erkennen. Geistige Abbauprozesse könnten damit, so die Hypothese, beschleunigt werden. Besonders betroffen könnten Ältere und Menschen mit bestimmten Formen von Demenz sein.

Foto: Christo Anestev auf Pixabay

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