Tropische Seegraswiesen nehmen offenbar teils deutlich weniger Kohlendioxid auf als lange gedacht. Zuletzt vermutete man Seegras als natürlichen Kohlendioxid-Speicher dank symbiotischer Bakterien.
Durch die Wiederansiedlung von Seegraswiesen an den Küsten sollen künftig große Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt werden, um den Klimawandel zu bekämpfen. Doch nach einer eine Studie des Helmholtz-Zentrums Hereon können Seegraswiesen durchaus mehr Kohlendioxid abgeben als sie aufnehmen. Ob die Rekultivierung von Seegraswiesen sinnvoll ist, hängt letztlich vom Standort ab, so das Fazit.
Um die ärgsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, muss die Menschheit in den kommenden Jahren die Menge des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre deutlich verringern. Es wird häufig vorgeschlagen, dazu natürliche CO2-Speicher an den Küsten wiederherzustellen, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte vielerorts zerstört worden sind. Dazu zählen Mangrovenwälder, Salzwiesen und sogenannte Seegraswiesen.
Beim Seegras handelt es sich um Wasserpflanzen, die in flachem, von Licht durchflutetem Wasser gedeihen und sich mit ihren Wurzeln im weichen Boden verankern. Für viele Tierarten wie etwa den in tropischen Gewässern lebenden Seekühen sind sie ein wichtiger Weidegrund und gelten gleichzeitig weltweit als Kinderstube für zahlreiche Jungfische.
Alle diese Pflanzen nehmen CO2 auf, um ihr Gewebe aufzubauen. Sterben die Pflanzen, lagern sie sich am Boden im Sediment ab. Auf diese Weise bleibt ein Teil des Kohlendioxids, das die Pflanzen ursprünglich aus der Luft aufgenommen haben, für längere Zeit im Sediment gespeichert.
Die Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern und die Regenerierung von Salz- und Seegraswiesen werden heute unter dem Begriff Blue-Carbon-Methoden zusammengefasst. Aus Sicht vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehören sie zu den wichtigsten, weil natürlichen, Maßnahmen, um den Klimawandel zu bekämpfen, obwohl diese Methoden ursprünglich eher dem Küstenschutz und der Wiederherstellung dieser wertvollen Ökosysteme dienen sollten.
Tropische Seegraswiesen im Visier
Nach Ansicht des Biogeochemikers Bryce Van Dam vom Helmholtz-Zentrum Hereon ist die Bekämpfung des Klimawandels durch die Rekultivierung von Seegraswiesen aber nicht so einfach, wie die Fachwelt bisher gedacht hat. Denn manche Seegraswiesen gäben mehr Kohlendioxid an die Atmosphäre ab, als sie speichern. Diese Erkenntnis sei enorm wichtig, um künftig das tatsächliche Klimaschutzpotenzial von Seegraswiesen richtig zu berechnen.
Seegraswiesen kommen an vielen Küsten der Welt vor, auch in Europa. In den Tropen sind sie am weitesten verbreitet. „Durch unsere Messungen in Seegraswiesen vor der Küste Floridas konnten wir zeigen, dass vor allem diese tropischen Seegraswiesen in der Summe teils deutlich weniger Kohlendioxid aufnehmen als lange gedacht“, sagt Bryce Van Dam, der im Hereon-Institut für Kohlenstoff-Kreisläufe forscht.
„Im Gegenteil: An manchen Küsten geben sie sogar verstärkt CO2 ab“, so der Experte. Das liege daran, dass an den Pflanzen und im Sediment viele chemische Prozesse abliefen, die andere Fachleute bislang bei der Bilanzierung der Kohlendioxid-Aufnahme vernachlässigt hätten. „Es hängt also von vielen verschiedenen Prozessen ab, ob eine Seegraswiese tatsächlich zur Verringerung des Kohlendioxids in der Atmosphäre beiträgt“, sagt Van Dam.
Gelöste Karbonate spielen die Hauptrolle
Grundsätzlich schlucken die Meere sehr viel Kohlendioxid, etwa ein Viertel des menschengemachten CO2. Die Hauptrolle in diesem Wechselspiel zwischen Atmosphäre und Ozean spielen die gelösten Karbonate, die durch Gesteinsverwitterung ins Meer gelangen. Karbonate binden vereinfacht ausgedrückt Kohlendioxid, das aus der Atmosphäre stammt und schließlich im Meerwasser gespeichert wird. Je mehr Karbonat das Wasser enthält, desto mehr Kohlendioxid kann es letztlich aufnehmen.
Im warmen Wasser der Tropen aber funktioniert das nicht ganz so reibungslos. Die Stoffwechselprozesse der Seegraspflanzen führen bei Wärme dazu, dass das gelöste Karbonat zu Kalk umgewandelt wird, der dann zu Boden rieselt. Damit geht Karbonat verloren, das sonst Kohlendioxid binden würde. „Das führt dazu, dass diese Seegraswiesen kaum Kohlendioxid binden, sondern im Gegenteil durch verschiedene andere biochemische Prozesse eher Kohlendioxid freisetzen“, erklärt Helmuth Thomas, Leiter des Hereon-Instituts für Kohlenstoffkreisläufe.
Erstmals zwei Methoden kombiniert
Das internationale Team unter der Leitung des Hereons hat erstmals eine neue Kombination von Methoden angewendet, um ein vollständiges Kohlenstoffbudget zu erstellen. Dieses ermöglicht ihnen, das gesamte in dem Ökosystem erzeugte und verbrauchte CO2 zu erfassen. Die erste Methode, die sich „Eddy Kovarianz“ nennt, misst den direkten CO2-Austausch zwischen dem Wasser und der Atmosphäre. Dieser Ansatz wird seit vielen Jahren in terrestrischen Ökosystemen verwendet. Das Team des Hereons gehört zu einer Gruppe Forschenden, die diesen Ansatz nun auch in Küstengewässern nutzt.
Mit der zweiten, ähnlichen Methode, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Austausch von Bikarbonat und anderen Chemikalien zwischen dem Sediment und dem Wasser gemessen. Anschließend haben sie mit geochemischen Probenahmen die vielen Prozesse in den Sedimenten gemessen, die in Wechselwirkung miteinander treten und schlussendlich dafür sorgen, dass CO2 erzeugt oder verbraucht wird.
„Das neue an dieser Studie ist, dass wir all diese Ansätze am selben Ort zur selben Zeit miteinander kombiniert haben“, sagt Bryce van Dam: „Durch die Verknüpfung der Messungen im Sediment mit entsprechenden Messungen im Wasser und in der Luft konnten wir die Prozesse, die das Ökosystem zur Speicherung oder Freisetzung von CO2 betreibt, nachvollziehen und in unseren Ergebnissen berücksichtigen.“
Erst CO2-Emissionen reduzieren und dann die Küstenlebensräume schützen
Auf der Suche nach Möglichkeiten, wie die Staaten ihre Ziele zur Kohlenstoffreduktion im Rahmen des Pariser Abkommens erreichen können, erscheinen die Blue-Carbon-Maßnahmen vielversprechend. „Wir können uns nicht auf Blue-Carbon-Maßnahmen verlassen, um das CO2 auszugleichen, das wir durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre bringen“, entgegnet van Dam. Vielmehr müssten wir zuerst die CO2-Emissionen reduzieren und dann die Küstenlebensräume schützen, um von den vielen ökonomisch und ökologisch wichtigen Leistungen zu profitieren, die sie uns bieten, auch wenn erhöhte CO2-Speicherung nicht immer dazugehört.
Foto: Forschungstauchgruppe, Uni Kiel