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Wie viel Krise sprechen die Parteien vor der Bundestagswahl in ihren Wahlprogrammen an?

Bald ist Bundestagswahl. Sechs Parteien stehen dabei mit ihren Programmen im Fokus. Da ist es doch interessant zu wissen, wie sie in den Dokumenten mit dem Begriff Krise umgehen? Und wie viele zu bewältigende Krisen sehen die einzelnen Parteien für die nächste Legislaturperiode? Eine aufschlussreiche Stichwortsuche.

Das Wort Krise – das sagt uns der Duden – steht für eine schwierige Lage, Situation oder Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt. Auch geht es der Definition nach in einer Krise um eine Schwierigkeit, eine kritische Situation oder eine Zeit der Gefährdung.

Politiktreibende richten sich in ihrer Einschätzung vermutlich nicht nach dem Duden. Will der eine die Krise noch lange nicht sehen, behauptet die andere vielleicht schon, man stecke mittendrin. So unterschiedlich lassen sich auch die Parteiprogramme vor der Wahl zum Bundestag im Jahr 2021 deuten.

Von Ungerechtigkeit des Kapitalismus bis kraftvoller Neustart nach der Krise

Aber zuerst eine rein statistische Betrachtung: Die CDU nimmt den Begriff Krise und Wörter, die sie beinhalten, am meisten in den Mund – 137 mal im ganzen Programm. Es folgen Bündnis90/Die Grünen mit 113 und die Linke mit 98 Treffern. Dann wird es dünner: Die AfD spricht das Wort gerade 21 mal aus, die FDP 39 und die SPD 40 mal. Doch Statistik sagt letztlich nicht viel aus, denn es geht uns Wählenden am Ende doch um die Ansprache einzelner Krisen und wie sie die Politik angehen will.

In der Existenz einer Krise sind sich alle Parteien einig, der Corona-Krise. Sie wird von jedem angesprochen. Aber jeder macht das auf seine Art. Während sie für die Linke die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus deutlich zutage hat treten lassen, hat die Coronakrise nach Ansicht der FDP gezeigt, dass der stete Wandel der Wirtschaft neue Ideen und Wege erfordert. So müsse Deutschland bei der Digitalisierung aufholen.

Die SPD ist sich hingegen sicher: „In der Corona-Krise wird einmal mehr überaus deutlich, dass Gewinnmaximierung und Kostenminimierung nicht das Maß aller Dinge sein dürfen. In der Wirtschaft, im Gesundheitssystem, im Bildungssystem, der Justiz und anderen wichtigen Bereichen wurde zu viel auf Kante genäht.“ Laut CDU hat die Corona-Krise unser Land und besonders Staat und Verwaltung herausgefordert und offengelegt, dass wir in einigen Bereichen schneller, besser und mutiger werden müssten. „Wir brauchen einen kraftvollen Neustart nach der Krise“, so das Fazit der Partei.

Aus Corona-Krise lernen und Staat, Gesellschaft und Kultur besser aufstellen

Düster wird es im Programm der AfD: „Die totalitären Tendenzen haben auch in Deutschland ein Demokratie gefährdendes Maß angenommen“, heißt es. Und weiter: „Die verfassungswidrige Grenzöffnung und die massiven Grundrechtseinschränkungen im Namen der Corona-Krise waren die bisherigen Höhepunkte im täglichen Bruch von Recht und Verfassung durch Regierungspolitiker.“

Einzig die Grünen bringen den wirtschaftlichen Aufbruch nach der Corona-Krise und die öko­logische Modernisierung zusammen: „Dazu braucht es eine sozial-ökologische Neubegründung unserer Marktwirtschaft“, fordern sie. Die Partei bringt auch an einigen Stellen den Begriff „krisenfest“ in die Debatte ein, den auch andere Parteien ähnlich wie das Wort „krisensicher“ oft nutzen. In der Regel geht es darum, aus der Corona-Krise zu lernen und Staat, Gesellschaft und Kultur, aber auch die Europäische Union, für die Zukunft besser aufzustellen. Jede Partei will das auf ihre Art machen. Einzig bei der AfD finden sich die Begriffe nicht.

Nur Linke und Grüne sprechen das Wort „Klimakrise“ im Programm aus

Aber gibt es noch andere Krisen außer Corona in den Programmen der Parteien, die im allgemeinen Grundrauschen untergehen? Lassen wir die Klimakrise – für die Grünen eine „wahre Mensch­heitskrise“ – einmal außen vor. Keine der Parteien leugnet sie oder den Klimawandel, alle haben ihre eigenen Ideen, ihr entgegenzusteuern. Einzig die AfD sieht wieder alles anders, spricht von „Klimahysterie“ und will dem Klimawandel positiv begegnen: „Statt einen aussichtslosen Kampf gegen den Wandel des Klimas zu führen, sollten wir uns an die veränderten Bedingungen anpassen, so wie es Pflanzen und Tiere auch tun.“ Übrigens schreiben nur die Linke und die Grünen das Wort „Klimakrise“ in ihr Programm.

Bei den Grünen finden sich zusammen mit der Klimakrise auch die Krise der Artenvielfalt und die Biodiversitätskrise. Der Verlust an intakter Natur und Umwelt sei ebenso dramatisch wie die Klimakrise und eine der größten Bedrohungen für ein gutes und gesundes Leben, heißt es. Um die Krise der Artenvielfalt zu überwinden und das massenhafte Artensterben zu beenden, bräuchten wir vor allem eine andere Landnutzung: „Wie beim Klimaschutz zählt auch beim Natur­schutz jeder Tag.“

Die Grünen behandeln in ihren Grundsätzen aber auch humanitäre Krisen. Ihre Anzahl nehme zu, stellen sie fest, sowohl aufgrund bewaffneter Konflikte als auch infolge klimakrisenbedingter Extremwetterereignisse: „Immer mehr Menschen müssen ihre Heimat verlassen, humanitäre Krisen dauern länger an.“ Sie sprechen auch die vielen Länder des globalen Südens an, die sich in einer Schulden­krise befänden. Das derzeitige Schuldendienstmoratorium sei richtig, verschiebe das Problem aber in die Zukunft: „Wir brauchen solide Schuldenre­strukturierungen und auch Schuldenerlasse, die Ländern Luft für eine nachhaltige Entwicklung verschaffen.“

FDP sieht andauernde Krise der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle

Im Programm der FDP taucht eine ganz andere Krise auf. Nachhaltiges Reisen sei durch die Pandemie verstärkt in den Fokus gerückt, stellt die Partei fest. Das gestärkte Bewusstsein solle genutzt werden, um den Tourismus nachhaltig weiterzuentwickeln. „Deshalb brauchen wir ein pandemiefestes Krisenmanagement, das die Tourismuswirtschaft für die Zukunft stärkt“, fordert die Partei. Der Tourismus sei bis in strukturschwache Regionen hinein ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Deutschland.

Ansonsten spricht die FDP naturgemäß viel von Wachstum und Wohlstand in Europa. Ein stabiler Euro sei Voraussetzung dafür. Um die Währungsunion für die Zukunft krisenfest zu machen, müssten die Euro-Länder die Lehren aus vergangenen Krisen ziehen: „Wir Freie Demokraten setzen daher auf Stabilität, Eigenverantwortung und klare Regeln, die vor allem auch eingehalten werden.“ Deshalb nimmt die Partei auch die Bankenregulierung und Aufsicht ins Visier. Sie müsse effektiv und effizient private Gläubigerinnen und Gläubiger von Banken schützen und systemische Krisen verhindern.

Und die Freien Demokraten bekennen sich zum langfristigen Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Denn sie sehen eine andauernde Krise der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle, die zu überwinden sie sich einsetzen wollen.

AfD will im plötzlichen währungspolitischen Krisenfall handlungsfähig sein

Abgesehen von der Migrationskrise, die die AfD deutlich betont und seitenweise Gegenmaßnahmen auflistet, die sich vor allem gegen Flüchtende und Asylanten wenden, sieht die Partei vor allem eine Währungs- und Eurokrise. Als Absicherung dagegen müsse man das Geldsystem reformieren, deutsches Staatsgold vollständig zurück nach Deutschland holen: „Deutschland muss auch in einem plötzlichen währungspolitischen Krisenfall handlungsfähig sein“, heißt es. Gold sei nach historischer Erfahrung eine potenzielle Deckung für eine neue Währung, was besonders in Krisensituationen oder nach Einführung einer neuen Währung zum Vertrauensaufbau relevant werde.

Die SPD ist sparsam beim Ansprechen von Krisen. Jedoch sieht sie viele Länder der Welt schon vor der Corona-Pandemie in einer Schuldenkrise, die jetzt noch vergrößert werde. Zentrale Säulen der Entwicklungsfinanzierung seien zusammengebrochen und Finanzströme ausgetrocknet. Das kurzfristige Aussetzen des Schuldendienstes im Rahmen der G20 und des IWF habe Erleichterung gebracht. Deshalb will die Partei die Initiative für ein globales Staateninsolvenzverfahren unterstützen, das staatliche und vor allem private Gläubiger mit einbezieht und das Schuldenerlasse für besonders gefährdete Ländergruppen formuliert und umsetzt.

Auch die CDU will für den Umgang mit Staaten, die von einer Wirtschafts- oder Finanzkrise betroffen sind, geordnete Verfahren bis hin zu einem Insolvenzverfahren für Staaten. Grundsätzlich wird es mit dem Bekenntnis der Partei, dass Deutschland aktiv zur internationalen Krisenbewältigung und zur Gestaltung der Weltordnung beiträgt – in der Europäischen Union, der NATO, den Vereinten Nationen und weiteren internationalen Organisationen. Ein gut bekannter Streitpunkt im Kampf der Partei gegen ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Wahl.

CDU will verstärkte Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Krisenfall

Die CDU geht aber auch auf ein anderes Thema ein. Sie erwartet, dass die nächste Krise ihren Ursprung im Klimawandel haben kann, durch Extremwetterereignisse wie Dürren, Trinkwassermangel, Waldbrände oder Hochwasser ausgelöst werden kann oder Folge von Cyberattacken oder Desinformationskampagnen sein kann. „Krisen und Katastrophen nehmen jedoch keine Rücksicht auf Grenzen von Regionen, Bundesländern oder Staaten“, so die richtige Feststellung: „So wenig sich Straftäter durch Grenzen abhalten lassen, so wenig dürfen Grenzen eine wirksame Arbeit der Sicherheitsbehörden behindern.“ Die Möglichkeiten zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Bund und Ländern müssten daher voll genutzt werden.

Erstmals nach Klima- und Biodiversitätskrise bei den Grünen taucht bei den Linken die umfassendere ökologische Krise auf. Sie sei die „große Überlebensfrage“ des 21. Jahrhunderts: „Es geht längst nicht nur um den Klimawandel: Umweltforscher*innen gehen davon aus, dass von neun planetaren Grenzen (also physikalischen Grenzen des ökologischen Erdsystems) einige bereits überschritten sind.“ Gleichzeitig ist die ökologische Krise für die Linken auch eine Klassenfrage.

Beispielhaft sieht die Linke im sozialökologischen Umbau einen Ausweg aus der Krise der Autoindustrie, der den Belegschaften mehr nutze als die Politik der Bundesregierung, die nach Ansicht der Linken die großen Autokonzerne stärke, am Individualverkehr festhalte und „nur den Antrieb“ wech­seln wolle. Durch Investitionen des Bundes in Bahninfrastruktur und öffentlichen Personennahverkehr könnten in den nächsten Jahren über 200000 gut bezahlte Industriearbeits­plätze geschaffen werden. „Vorrang hat die Produktion von Fahrzeugen für kollektive Mobilitätskonzepte“, fordert die Partei.

Corona und Klima sprechen die Parteien vor der Bundestgswahl an

Die Linke sieht auch den Multilateralismus in der Krise. Es brauche deshalb auf der internationalen Ebene ein System stärkerer Zusammenarbeit. In den internationalen Beziehungen gäbe es eine Eiszeit. Die USA und ihre Verbündeten auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite hätten den Sicherheitsrat und die Vereinten Nationen in den vergangenen Jahren blockiert.

Viele Krisen außer Corona und Klima sprechen die Parteien in ihren Programmen nicht an. Warum auch? Sie in den Griff zu bekommen, ist Herausforderung genug für die nächsten Jahre.

Die Grünen haben dies gut formuliert: „Wir haben aber die Wahl: Wir können entscheiden, ob uns die Kri­sen über den Kopf wachsen oder wir über sie hinaus“, steht im Programm der Partei. Die Pandemie habe gezeigt, dass wir Krisen in gemeinsamer Kraftanstren­gung bewältigen können: „Durch die Solidarität, mit der unsere Gesell­schaft den Verletzlichsten den stärksten Schutz gegeben hat.“

Foto: Bundestag/Simone M. Neumann

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